Die Änderungen des Lebensstils gelten als wichtige Bausteine der Therapie von Diabetes. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Das neue Jahr hat nicht selten mit ein paar Pfunden mehr auf den Hüften begonnen. Der Vorsatz heißt dann: bewusster ernähren und mehr Bewegung. Dinge, die Diabetiker ohnehin beherzigen (sollten) - gelten die Änderungen des Lebensstils doch als wichtige Bausteine ihrer Therapie.

Mediziner unterscheiden mehrere Ursachen der Zuckerkrankheit (siehe Glossar). "Risikofaktoren für einen Typ-2-Diabetes sind Übergewicht und Bewegungsmangel", sagt Dr. Jürgen Wernecke vom Agaplesion Diakonieklinikum in Hamburg. "Aus Studien wissen wir, dass Bewegung die Muskelzellen empfindlicher macht für Insulin. Wenn Diabetiker vor und nach einem ausgiebigen Spaziergang den Blutzucker messen, sehen sie, dass dieser sinkt, sie sehen also einen unmittelbaren Effekt." Dass die Zuckerkrankheit mit Ernährung zu tun habe, sei bekannt. "Aber die Vorteile von Bewegung sind in ihrer Tragweite noch nicht bei den Patienten angekommen", sagt Wernecke.

Also: abspecken und mehr Sport! Doch das ist leichter gesagt als getan. "Es zeigt sich leider immer wieder, und wir kennen das alle: Verhalten kann man nur schwer ändern, wenn nicht ganz große Dinge passieren", sagt Prof. Manfred Dreyer vom Asklepios Westklinikum Hamburg. "Patienten nach einem lebensbedrohlichen Herzinfarkt sind viel einfacher davon zu überzeugen, sich einer speziellen Sportgruppe anzuschließen, als Diabetes-Patienten." Typ-2-Diabetiker litten an einer chronischen Erkrankung, die bei vielen von ihnen nicht durch einen dramatischen Vorfall festgestellt werde.

"Oft schleichen sich die erhöhten Blutzuckerwerte über Jahre ein, die Patienten haben keinerlei Beschwerden, und beim Routinecheck beim Hausarzt fallen plötzlich erhöhte Werte auf", sagt Ulrich Wendisch, niedergelassener Diabetologe aus dem Diabeteszentrum Hamburg West. "Wenn der Blutzuckerwert sehr hoch ist, kommt man meistens nicht um eine Insulintherapie herum, zumal die Erkrankung dann meist schon Jahre bestanden hat", sagt Wernecke, Vorsitzender der Hamburger Gesellschaft für Diabetes. Der Nachteil des Insulins sei aber unter anderem, dass abnehmen fast nicht möglich sei. "Wir beobachten bei vielen Patienten sogar eine Gewichtszunahme unter Insulin." Das liegt daran, dass das Hormon aufbauend und wachstumsfördernd auf Körpergewebe wirkt. Schätzungsweise acht Prozent der deutschen Bevölkerung haben einen Typ-2-Diabetes. "Bei einem Teil davon ist die Erkrankung aber noch nicht festgestellt worden", sagt Dreyer. Laut seinen Aussagen kommen etwa 60 Prozent der diagnostizierten Typ-2-Diabetiker ohne Insulin aus. Nur vergleichsweise wenige Zuckerkranke schaffen es, wieder vom Insulin loszukommen.

Mehrere Medikamente stehen zur Behandlung des Diabetes zur Verfügung, allen voran Metformin. "Das Mittel ist altbekannt und wird seit Jahren zur Blutzuckersenkung verschrieben", sagt Wendisch. Der Stoff verringere die vom Körper hergestellte Glukosemenge und verbessere die Insulinwirkung in der Leber. Daher nehme ein Teil der Patienten mit Metformin auch einige Kilos ab. "Weil die Tabletten aber auch Nebenwirkungen mit sich bringen können, wie Durchfälle und Übelkeit, muss die Dosis langsam gesteigert werden, bei manchen Patienten können wir es gar nicht einsetzen wegen der Nebenwirkungen", sagt Wendisch.

Seit einigen Jahren sind nun Medikamente auf dem Markt, die wie das körpereigene Hormon GLP 1 wirken und gespritzt werden müssen. "Wenn Nahrung im Darm ankommt, meldet das Hormon an das Gehirn 'du bist satt', es steigert außerdem die Insulinausschüttung und verlangsamt die Entleerung des Magens", sagt Dreyer. Auch Hans-Joachim Ziems nimmt eines dieser Mittel plus Metformin. "Vor acht Jahren hatte ich plötzlich quälenden Durst und bin zu meinem Hausarzt gegangen", erzählt der 65-Jährige. Der Arzt maß den Blutzucker und stellte einen extrem hohen Wert von mehr als 600 mg/dl fest (nach dem Essen sollte der Wert nicht über 140 mg/dl liegen). "Ich wurde sofort ins Krankenhaus eingewiesen, blieb eine Woche stationär, bekam eine Schulung und konnte meinen Diabetes mit vier Spritzen Insulin am Tag recht schnell selbst steuern."

Doch es stellte sich heraus: Ziems gehörte zu den Patienten, die unter Insulin zunehmen. Außerdem brauchte er vergleichsweise große Mengen, um den Blutzucker in Schach zu halten. "Ich wog statt 85 Kilo plötzlich 91 Kilo und brauchte 100 bis 120 Einheiten Insulin am Tag." Für Dreyer ein Signal, etwas in der Therapie zu ändern. Seit März 2012 nimmt Ziems ein "GLP 1-Analogon". Vorgabe für den Patienten war, zunächst abzunehmen. Mit einer Umstellung in der Ernährung schaffte er das.

Zum Mittagessen isst Ziems nun einen "bunten Teller mit Gemüse und Salat", abends gibt es statt Kartoffeln und Schnitzel einen Apfel und einen Eiweißdrink. Auf die schnell verwertbaren Kohlehydrate in Nudeln, Reis, Brot oder Kartoffeln verzichtet er weitgehend. Nur Sport macht er keinen und sagt augenzwinkernd. "Alle meine Ärzte sagen, ich soll mich mehr bewegen, aber ich bin da eher faul." Früher sei er leidenschaftlicher Hochseesegler gewesen, doch seit einer Bypass-Operation im Jahr 1993 wage er dies nicht mehr. Sein Gewicht ging mit der neuen Therapie jedoch runter, und auch die Blutzuckerwerte sind in Ordnung.

Der innere Schweinehund, aber auch die Therapie und Begleiterkrankungen machen es für die Diabetiker anscheinend schwer, den Ratschlägen der Ärzte zu folgen. In Schulungen, die zur Behandlung von Diabetes offiziell dazugehören, wurde ein Element zur Bewegung eingeführt. Ein halbstündiger Spaziergang, der den Blutzucker beeinflusst, gehört dazu. "Sport und Bewegung müssen jedoch vor allem Spaß machen", sagt Dreyer.