Jeden Tag shoppen in Deutschland Menschen inkognito für Stiftung Warentest. Geprüft werden die Produkte in verschwiegenen Labors.

Chemnitz. „Ich versuche, möglichst unauffällig zu bleiben und mich nicht in Fachgespräche verwickeln zu lassen“, sagt der Mann im Off. Sein Gesicht ist im Image-Film der Stiftung Warentest nicht erkennbar. Er macht einen Job, um den ihn manche beneiden mögen. Mit fremdem Geld in der Tasche kauft er im Dienste der Verbraucher ein - stets in bar. Kreditkarten sollen keine Spuren hinterlassen. Das Geschäft ist diskret, die Prüfung der Produkte erfolgt in geheimen externen Labors. Niemand soll auf die Kontrolleure Einfluss nehmen.

Getestet wird auch in einem Prüflabor in Sachsen: Das Gelände ist auf den ersten Blick alles andere als auffällig. Die Hallen entsprechen üblicher Industriearchitektur. Security sucht man vergeblich. Die Firma könnte ebenso Brötchen backen oder Luftballons herstellen. Doch eigene Kreationen sind nicht ihr eigentliches Metier. Die Labors sollen vielmehr Qualitäten und Mängeln anderer auf die Schliche kommen. „Wir können hier die Flöhe husten hören“, sagt der Chef-Akustiker, der seinen Namen nicht nennen darf. Verschwiegenheit ist oberstes Gebot. Er hat einen Raum mit Nachhallzeit von bis zu zwölf Sekunden, aber auch ein Zimmer gänzlich ohne Schall – trocken und ruhig wie eine windstille Wüste.

Unter solchen Extrembedingungen erfolgen Messungen an diversen Haushaltsgeräten vom Staubsauger bis zur Waschmaschine. Bei der Akustik geht es um Lautstärke, Frequenzlage und psychoakustische Informationen – manche Töne können schließlich auch nerven. Der Techniker schaltet den Sauger ein, es summt nur dezent. Seitdem Direktmotoren die Geräte antreiben, sei die ganze Branche leiser geworden, sagt der Fachmann. Dennoch gebe es auch „Billigheimer“. Bei Staubsaugern betrage die Spannbreite immerhin 30 Dezibel (dB). Auch Geräte mit 80 dB sind hier schon im Test gewesen und haben damit ganz offiziell die Schmerzgrenze erreicht.

Der Rundgang führt zur EMV – zur Elektromagnetischen Verträglichkeit. Eine riesige Antenne in Form einer liegenden Eieruhr sorgt für unsichtbare Felder. Wenige Meter entfernt läuft ein Elektro-Fahrrad unbemannt auf einem Prüfstand. „Ich kann keinen Mitarbeiter acht Stunden lang aufs Rad setzen, außerdem würde keiner so gleichmäßig in die Pedale treten“, sagt der Laborleiter. Aber was passiert, wenn Störsignale auf hochempfindliche Elektronik treffen? „Stellen Sie sich vor, sie stehen mit dem E-Rad an einer Kreuzung. Neben ihnen hält ein Auto. Beim Fahrer klingt das Handy. Plötzlich fährt ihr E-Rad von selbst los, auch bei roter Ampel.“

Manche Apparate in den Testlabors wirken so, als hätte James Bonds Chefentwickler Q seine Hände im Spiel gehabt. Beim Staubsauger-Test streut ein fahrbarer Schlitten Sand auf einen roten Teppich, der Dreck wird ordentlich ins Gewebe eingewalzt. Dann nähert sich wie von Geisterhand gesteuert ein Staubsauger. Im Frontbereich der Düse glitzern LED-Lampen – kein Krümel soll verborgen bleiben. Der Sauger geht mehrmals über die verschmutzte Stelle hinweg. Schon mit bloßem Auge wirkt der Test gelungen. Doch der Beutelinhalt muss noch auf die Waage. Auch die Abluft der Geräte wird per Computer analysiert – das „Staubrückhaltevermögen“ ist ein wichtiges Kriterium.

Manchmal ist noch Handarbeit gefragt – zum Beispiel am Prüfstand für Handsägen. Hier zersägt ein Mitarbeiter eine Holzstange und prüft danach die „Schnittführung“. Auch auf dem „Prüfrasen“ für Rasenmäher und an den „Prüfhecken“ für Gartenscheren ist Manneskraft gefragt. In einer Anlage wird simuliert, wie Steine die Messer des Rasenmähers zum Knirschen bringen. 500 Stahlkugeln werden unten per Druckluft in die Anlage gepustet und dann zu wahren Geschossen. Nebenan rollt ein Koffer 100 Kilometer über eine Walze mit kleinen Hindernissen. „Ein Spielplatz für Jungs“, nennt der 32-jährige Angestellte den hauseigenen Prüfanlagenbau.

Viele Testgeräte wurden selbst entwickelt, einige sind inzwischen selbst ein Produkt. Schon vor dem Mauerfall erreichten die Sachsen Aufträge aus dem Westen. Für Holger Brackemann, Bereichsleiter Untersuchungen bei der Stiftung Warentest, hat das gar nicht mal vordergründig finanzielle Gründe. „Die Firma war schon damals gut“, sagt der promovierte Chemiker. Heute arbeitet die Stiftung mit mehr als 100 Prüflabors in Deutschland und im Ausland. Sie müssen eine Neutralitätsklausel unterzeichnen: Prüfungen für die Stiftung dürfen nicht in gleicher Weise und zeitgleich für die Industrie erfolgen. Ohnehin hat das Labor Stillschweigen zu bewahren.

Die Prüfer haben sich damit abgefunden, „nicht alles zu Hause erzählen zu dürfen“. „Gespaltene Persönlichkeiten sind wir deshalb nicht“, sagt der Mann im EMV-Labor. „Die Verschwiegenheit steht im Arbeitsvertrag. Wir sehen hier auch Dinge, die erst in zwei Jahren in die Geschäfte kommen.“ Für den Vorsprung der Mitarbeiter sorgen die Hersteller selbst. Sie geben ihre Prototypen für „entwicklungsbegleitende“ Tests in die Labors.

„Prüfer sind eine ganz besondere Spezies“, sagt Brackemann. Sie müssten sehr pedantisch und penibel sein. Der Abteilungsleiter für Warenprüfung im sächsischen Labor pflichtet bei: „Klar, wir dürfen nun mal nichts vergessen.“ Bei den Tests sollen alle für den Verbraucher relevanten Eigenschaften überprüft werden. Es geht um Funktion, Handhabung, Haltbarkeit, Umwelt- und Energiebilanz sowie um Sicherheit. Bei den Staubsaugern muss allein der Motor 600 Stunden laufen. 500 Mal rumpelt das Gerät über eine Türschwelle oder stößt an einen Pfosten. Alle Daten werden an die Stiftung Warentest übermittelt, dort erfolgt die Auswertung.

Auch wenn die Tests hinter verschlossenen Türen ablaufen, ist der Auftraggeber allseits bekannt. „Wir haben in der Bevölkerung einen Bekanntheitsgrad von 94 Prozent“, sagt Sprecherin Heike van Laak. Das sei ungefähr der Wert von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Tatsächlich ist die Institution mit dem markanten Siegel für viele Deutsche ein Gradmesser beim Einkauf. Aktuell haben rund 400 000 Bürger die Zeitschrift „Test“ abonniert. Dazu gehen jeden Monat noch einmal 60 000 Hefte in den Einzelverkauf. Beim Pendant „Finanztest“ liegt die Auflage bei insgesamt 233 000. Zudem gibt es nach eigenen Angaben pro Jahr 45 Millionen Besucher der Internetseite.

Brackemann zufolge ist der typische „Test“-Leser deutlich über 50, besser gebildet, mehrheitlich männlich und besitzt ein höheres Einkommen als der Schnitt. Bei „Finanztest“ sei die Leserschaft um fünf bis zehn Jahre jünger und habe zudem noch mehr Geld in der Tasche. Finanziert wird die Arbeit der Stiftung überwiegend durch den Verkauf der beiden Zeitschriften. Außerdem erhält die Stiftung Bundesmittel als Ausgleich dafür, dass sie keine Werbeeinnahmen erzielt. Der Deutsche Bundestag hatte die Stiftung 1964 ins Leben gerufen, Neutralität gilt als oberstes Gebot. Anzeigen in den Publikationen sind tabu.

Während Firmen gern ein „sehr gut“ oder „gut“ der Stiftung als Werbung in eigener Sache auf die Produkte kleben, kann ein „mangelhaft“ mitunter zu einer Unterlassungserklärung und damit vor Gericht führen. Brackemann ist stolz darauf, dass die Stiftung noch nie rechtskräftig zu Schadenersatz verurteilt wurde. Die Organisation verifiziert ihre Tests zur eigenen Qualitätskontrolle regelmäßig und korrigiert bei Fehlern auch die Bewertung – so geschehen beispielsweise bei einem Testurteil zur Riester-Rente, sagt Sprecherin van Laak.

Brackemann geht davon aus, dass die Stiftung als kritisches Auge der Verbraucher das Qualitätsbewusstsein der Hersteller befördert habe. 2011 kamen rund 22 400 Produkte und Dienstleistungen auf den Prüfstand. Ein Test kostet im Schnitt 30 000 bis 40 000 Euro. Bei Nahrungsmitteln ist es oft mehr, weil der Aufwand an chemischen und mikrobiologischen Analysen hoch ist. Bei den E-Rädern wurden pro Muster 25 000 veranschlagt. Zuletzt reihten sich die Warentest-Käufer in die Schlangen vor den Apple-Stores ein. „Beim iPhone 5 haben wir uns wie alle fünf Stunden angestellt“, so Brackemann. Das Ergebnis steht schon im Internet und kommt auch in die nächste „Test“-Ausgabe.

Dauerbrenner bei den Tests sind vor allem Waschmaschinen, Matratzen, Fernseher, Digitalkameras und Kindersitze. Hier findet mindestens jährlich eine Bestandsaufnahme statt. Immer häufiger macht die Stiftung bei den Produkten auch sogenannte CSR-Test. Die Corporate Social Responsibility sagt etwas über die ethische Seite der Herstellung aus: Unter welchen Bedingungen entsteht das Produkt, wie geht man mit den Ressourcen um, wie sind die Löhne, spielt womöglich Kinderarbeit eine Rolle? „Da lassen wir uns die Türen der Firmen öffnen, das führt uns oft ins Ausland, nach China oder andere asiatische Länder“, berichtet Brackemann.

Anita Stocker, Chefredakteurin der Zeitschrift „Test“, gerät in Rage, wenn sie über schwarze Schafe unter den Anbietern spricht. Als bei einem Koffertest zwei Exemplare einer renommierten Marke wegen hoher Konzentrationen der krebserregenden Substanz PAK (Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe) in den Koffergriffen durchfielen, äußerste die betroffene Firma auf Nachfrage durchaus Kenntnis über diese Problematik. „Das bringt mein Blut immer noch in Wallung“, sagt Stocker. Sie weiß auch von Tricks, wie manche Produkte nach der Prüfung verändert oder Testurteile frei erfunden werden. Meist hat die Konkurrenz ein kritisches Auge und meldet solche Manipulationen.

„Am meisten wird mit Finanzdienstleistungen Schindluder getrieben“, sagt Brackemann. Viele Verbraucher könnten das nicht wirklich durchschauen – zum Teil mit fatalen Folgen. Denn während ein schlechter Fernseher vielleicht nur ein paar Jahre ein mieses Bild ausstrahle, werde eine Fehlentscheidung bei der Rentenversicherung erst im Alter offenkundig. „Es gibt Versicherungstarife ohne Ende, Tausende von Unfallversicherungen – was soll das alles?“, fragt der leitende Warentester und vermutet dahinter Methode: Der Verbraucher soll gar nicht mehr durchblicken und so im Dschungel der Tarife bewusst in die Irre gehen.

Die Urteile der Stiftung reichen von „sehr gut“ bis „mangelhaft“, im Schnitt wird eine Note von etwa 2,4 erteilt. Wenn Hersteller bei der Wertung mit dem Ergebnis betrügen, hat das Folgen. In diesem Jahr kam es bisher zu 75 Abmahnungen und 39 Unterlassungserklärungen wegen irreführender oder falscher Werbung. Die Stiftung geht nicht direkt gegen betroffene Firmen vor, weil sie kein Marktteilnehmer ist. Dabei verkörpern ihre 280 Mitarbeiter ein Sammelsurium verschiedenster Berufe – vom Mathematiker bis zum Lebensmittelchemiker. Neuerdings gibt es auch einen Theologen: „Obwohl wir nicht die Absicht haben, die Kirchen zu testen“, offenbart Brackemann.