Popstar Madonna holte sich ein Adoptivbaby aus Afrika. Sie spendete dafür drei Millionen, und alles ging schnell. Ein junges Ehepaar aus Tralau ging den normalen Weg. Die Adoption kostete sie mehr als ein Jahr und viele Mühen - und sie schafften es trotzdem.

Er steht direkt hinter der Tür. Der kleine Kopf mit den krausen schwarzen Haaren reicht bis zur Klinke. Er lächelt, noch schüchtern, aber freundlich. Seine braunen Augen leuchten. Beobachten genau die großen Neuankömmlinge. Zaghaft streckt er die kleine Hand in die Höhe: Besuch! Die andere wandert schnell, Schutz suchend, an die Jeans seiner Mutter. Greift fest in den dicken blauen Stoff.

Christina (33), die Mutter: "Unser David ist für uns das süßeste Kind der Welt. Jeder, der ihn sieht, freut sich über sein Lachen, seine offene und freundliche Art auf Menschen zuzugehen. Das ganze Dorf liebt ihn. Überall ist er willkommen, wenn wir mal wieder einen Spaziergang durch die Straßen von Tralau machen. Jeder hier kennt seine Geschichte."

Arno (36), der Vater: "Seit März vergangenen Jahres ist David jetzt bei uns. Seitdem haben wir endlich einen kleinen Sohn. Er war gerade einmal vier Monate alt, ein winziges Baby, als wir ihn in Johannesburg im Kinderheim abgeholt haben. Kurz bevor wir ankamen, wurde er auch noch krank, bekam eine Lungenentzündung. Doch unser David war stark, hat sich erholt und ist längst wieder ganz gesund."

Schnell wird der kleine Junge mutiger. Zeigt seinen hölzernen Laster. Rennt in die Spielzeugecke und holt seine Kuscheltiere, den Hasen und das Schaf. Namen hat er ihnen nicht gegeben. Er sammelt die bunten Kissen von den beiden grünen Sofas im Wohnzimmer. Baut sich eine eigene kleine Spielwiese. Wirft sich juchzend auf den weichen Berg. "Komm spielen", ruft er.

Der Vater: "Wir haben uns vor etwa drei Jahren entschieden, ein Kind zu adoptieren. Wir wollten einem Kind aus einem besonders armen Land eine neue Chance geben, eine Chance, die es in seinem Heimatland nicht hätte. Eltern sein für ein Kind, das in seiner Heimat keine mehr hat und auch keine finden kann. Deshalb haben wir auch ganz bewusst versucht, ein Baby aus Asien oder Afrika zu adoptieren und nicht aus Deutschland oder Europa."

David (2) zieht seinen Papa vom Sofa. Fordert ihn auf mitzuspielen. Jetzt sitzen sie zusammen auf dem Fußboden. Beladen den großen Holzbagger. Lesen gemeinsam ein Buch: Das Kälbchen mit dem weißen Fleck. David verfolgt konzentriert, was ihm sein Vater erzählt. Zeigt auf die Tierzeichnungen und erklärt mit fester Stimme, was er dort sieht. Holt schnell noch ein anderes Buch, damit sein Papa nicht aufhört zu erzählen.

Der Vater: "Das ganze Adoptionsverfahren hat sich von Januar 2004 bis zum März vergangenen Jahres hingezogen. Dazu gehörten Seminare für uns als werdende Eltern, ein Antrag hier in Deutschland und die Prüfung der Unterlagen durch die zuständigen Stellen. Nachdem wir hier anerkannt wurden, mußten unsere Unterlagen übersetzt und anschließend auch in Südafrika noch beurteilt werden. Erst dann kamen wir auf die Warteliste. Entscheidend war bei diesem Verfahren aber, dass die zuständigen Stellen nicht nach einem passenden Kind für die jeweiligen Eltern suchen, sondern für das Kind die richtigen Eltern auswählen."

Die Mutter: "Das Warten war dann eigentlich das Schlimmste. Wir wussten, dass das ganze Verfahren sich noch rund ein Jahr hinziehen würde, aber prinzipiell hätte jeden Tag das Telefon klingeln können. Und ob wir einen Jungen oder ein Mädchen bekommen würden, wussten wir auch nicht. Ganz wie im normalen Leben, wenn man ein Kind erwartet. So kam der Anruf für uns dann auch sehr plötzlich. Sie haben einen Sohn, sagte man mir. Was für eine Nachricht nach diesen Monaten. Nur fünf Tage später saßen wir bereits im Flieger, um David abzuholen. Weitere 24 Stunden darauf sahen wir ihn zum ersten Mal. Den Moment, als die Tür aufging und die Heimleiterin mit dem Kleinen ins Zimmer kam, werde ich nie vergessen. Sie hatte unser Baby auf dem Arm, nach so vielen Monaten, unser Baby."

David Thabo Dudley Gift schiebt seine Holzeisenbahn durch das Wohnzimmer. So heißt der Kleine wirklich. Jeder Name hat eine ganz besondere Bedeutung. Gift hat ihn seine leibliche Mutter in Südafrika genannt. Gift, das Geschenk. Doch den konnte er wegen seiner deutschen Bedeutung zumindest nicht als Rufnamen behalten. Deshalb bekam er von seinen neuen Eltern einen weiteren Namen, einen der auch in Südafrika bekannt ist: David. Dann war da noch der Name, der ihm im Kinderheim gegeben wurde. Dort rief man den kleinen Dudley. Schließlich wollten seine Eltern, dass er als Erinnerung an seine Herkunft auch einen Namen aus seiner Heimat bekommt. So entstand Thabo, was in einer der südafrikanischen Sprachen, Sotho, so viel wie Glück und Freude bedeutet. Gerufen wird er von seinen Eltern zumeist einfach Duddy.

Der Vater: "David soll immer wissen, woher er kommt, was sein Geburtsland ist. Wir wollen und können ihm nicht verheimlichen, dass er nicht unser leibliches Kind ist. Wir zeigen David bereits jetzt, wo er herkommt. Schauen mit ihm Fotos von seiner Reise nach Deutschland an. Er betrachtet dann ganz ausgiebig seine Babybilder. Oftmals kommt er mit dem Album zu uns gelaufen und will, dass wir sie gemeinsam anschauen."

Die Mutter: "Wir erzählen ihm auch von seinem Heimatland. Obwohl er das alles jetzt noch nicht richtig verstehen kann, soll er ein Gefühl für Afrika, für sein altes Zuhause bekommen. Über das Schicksal seiner Eltern wissen wir allerdings nur wenig. Und das, was wir wissen, wollen wir ihm irgendwann erzählen, wenn er es wirklich versteht. Dann soll er selbst entscheiden, wem er davon berichtet."

David will Kekse. Immer wieder fordert er sie ein. "Kekse", ruft er laut durchs Wohnzimmer. Das geht schon den ganzen Morgen so. Wann immer er einen bekommt, strahlt er und rennt lachend zurück zu seinem Spielzeug. Stopft ihn schnell in den Mund. Nichts ist zu sehen von Unterernährung und mangelnder Hygiene wie bei vielen Heimkindern aus armen Ländern. Er ist fröhlich, lacht viel und albert zärtlich mit seinen Eltern. Eben ein glücklicher afrikanischer Junge mitten in Deutschland.

Der Vater: "Wir sind uns aber auch bewusst, dass er es in seinem Leben hier nicht immer leicht haben wird. Noch finden ihn alle süß und übersehen, dass er anders ist. Aber sicherlich werden wir als Familie und auch er allein mit Ausländerfeindlichkeit konfrontiert werden. Darauf müssen wir uns alle einstellen, uns gegen die Angriffe von außen wappnen. Wir wollen David für diese Situationen stark machen. Ihm mit einem liebevollen Elternhaus den Rückhalt für das Leben da draußen geben. Und ihm zeigen, wie er mit solchen Situationen umgehen soll."

Die Mutter: "Er soll sich zu helfen wissen, wenn ihn Kinder in der Schule hänseln oder sogar ein verrückter Glatzköpfiger ihn in Hamburg in der U-Bahn angreift. Die Welt ist nun mal wie sie ist. Man muss nur an die Schlagzeilen der vergangenen Wochen und Monate denken. Da wurden beispielsweise Ausländer in Sachsen-Anhalt angegriffen. Es wurde bekannt, daß einer der YouTube-Gründer wegen Rassismus Deutschland verließ. Und dann der brutale Übergriff in Potsdam auf den afrikanischstämmigen Ingenieur vor wenigen Monaten. Unser David soll sich irgendwann gegen solche Menschen wehren können, nicht mit körperlichen Reaktionen, sondern mit Worten."

Der kleine Junge fährt mit seinem neuen Dreirad durch die Wohnung. Schiebt sich zwischen den Möbeln durch, rangiert geschickt mit dem Holzspielzeug, ohne irgendwo anzustoßen. Dass er den gleichen Namen hat wie Madonnas neuer Adoptivsohn, ist Zufall. Die Geschichte der beiden Davids ist die gleiche und doch ganz anders. Denn ein Star wie Madonna wartet nicht ein Jahr auf ein Kind. Und der neue Sohn des amerikanischen Postars wird bereits jetzt unendlich mehr Spielzeuge haben, als der kleine David aus Tralau je besitzen wird.

Die Mutter: "Wir verfolgen die Berichterstattung um Madonna und den kleinen Jungen bereits seit Tagen durchaus kritisch. Schließlich spiegelt dieses Verfahren nicht die Wirklichkeit wider. So leicht haben es "normale" Menschen wie mein Mann und ich nicht, ein Kind aus einem anderen Land zu adoptieren. Und das ist richtig. Denn Kinder sind schließlich keine Ware. Bei uns ist alles einen normalen Gang gegangen und deshalb hat es auch entsprechend lange gedauert. Auch jetzt, wo wir uns für ein weiteres Kind aus Burkina Faso bewerben, werden wir mindestens noch ein Jahr warten müssen, bis wir vielleicht auch unser zweites Kind adoptieren dürfen."