Hamburg. Als Hobby züchtet er Molche; er hat die Ansicht vertreten, die Iren seien in der 800-jährigen britischen Herrschaft schlimmer behandelt worden als die Juden unter Adolf Hitler, und US-Präsident George W. Bush sei die größte Bedrohung für das Leben auf unserem Planeten.

Ken Livingstone, mit einiger Berechtigung "der rote Ken" genannt, ist Bürgermeister der britischen Hauptstadt London. Und das will der radikale Sozialist und frühere Labour-Politiker, den Tony Blairs Partei ausgeschlossen hat, auch nach den Wahlen am 1. Mai bleiben. Als Unabhängiger tritt Livingstone, der London zur nuklearwaffenfreien Zone erklärt hat, gegen einen Konservativen und einen Labour-Kandidaten an. Doch Letzterer, der Ex-Polizist und bekennende Schwule Brian Paddick, bleibt wohl chancenlos bei dieser Wahl.

Als schärfster Rivale hat sich der Konservative Boris Johnson gemausert. Wer nun meint, aussichtsreichster Gegenkandidat eines Paradiesvogels wie Livingstone müsse ein knochensolider Karrierepolitiker sein, irrt. "Boris", der bis zu einem kürzlichen Friseurbesuch aussah wie ein lebender Wischmopp, ist womöglich noch exzentrischer.

In die Oberklasse geboren als Alexander Boris de Pfeffel Johnson, Sohn eines Tory-Europaabgeordneten, war er Absolvent der Eliteanstalten von Eton und Oxford, Präsident des Debattierklubs Oxford Union und Mitglied des exklusiven Bullington Clubs. Er fällt mitunter in einen Oberklasseton, den man höchstens aus englischen Gesellschaftsfilmen kennt - sehr zur Freude seines bodenlos bodenständigen Konkurrenten Livingstone. Der den US-Botschafter schon mal als "Gauner" bezeichnete, weil er von der livingstoneschen City-Maut befreit werden wollte.

Johnson, der für den Wahlkreis Henly im Unterhaus sitzt, ließ sich in der populären Rateshow "Have I got News For You" mehrfach vom Moderator als überforderter, wenn auch sympathischer Einfaltspinsel vorführen. Und bei einem Fernsehinterview vor seinem Haus schlug "Bo-Jo", wie ihn die Boulevardpresse liebevoll ruft, schusselig die Tür zu - und stand dann ohne Schlüssel vor seinem verschlossenen Heim. Die Nation feixte. Ein anderes Mal konnte sich der Journalist und zeitweilige Herausgeber des konservativen Wochenblatts "The Spectator" nicht an den genauen Titel eines von ihm geschriebenen Buches erinnern.

Über die Bevölkerung von Liverpool äußerte sich "Bo-Jo" mehrfach derart unglücklich, dass heute auf Stadtführungen interessierten Touristen gern Orte gezeigt werden, wo Johnson sich besonders heftig blamierte. Anlässlich der Ermordung der britischen Geisel Kenneth Bigley durch irakische Terroristen schrieb Johnson im "Spectator", die Liverpooler suhlten sich stellvertretend für Bigley in einer Opferrolle und hätten eine "zutiefst hässliche Psyche".

Daraufhin wütete Bigleys Bruder Paul während einer Live-Sendung gegenüber dem Politiker: "Sie sind ein egozentrischer, aufgeblasener Idiot - verschwinden Sie aus der Öffentlichkeit!"

Genau das will Johnson aber nicht tun. Bei jüngsten Umfragen liegt der 43-Jährige sogar bis zu sieben Prozentpunkte vor Ken Livingstone, der in der 7,5-Millionen-Einwohner-Metropole London bereits seit acht Jahren das Sagen hat. Livingstone, Sohn einer Tänzerin und eines Handelskapitäns, hat Johnson wegen dessen harter Haltung in Migranten-Fragen als "Rassisten" gebrandmarkt. "Bo-Jo" erklärte sich daraufhin flugs zum "Einmann-Schmelztiegel" - denn seine Vorfahren seien Türken, seine Frau immerhin Halbinderin. Johnsons Urgroßvater Ali Kemal war der letzte Innenminister des Osmanischen Reiches. Er befahl die Verhaftung der späteren Polit-Ikone Mustafa Kemal "Atatürk" - und wurde am 6. November 1922 von dessen Anhängern dafür gesteinigt.

In einer Umfrage der Zeitung "The Independent" unter Wirtschaftsführern meinten 53 Prozent, Johnson habe "zu viel von einem Clown" - dennoch wollten ihn 60 Prozent wählen.

Wurden Johnson ein chaotischer Lebenswandel und außereheliche Affären attestiert, so steht ihm Livingstone nicht nach: Erst bei seiner jüngsten Kandidatur kam heraus, dass er neben den zwei Kindern, die in den Biografien vermerkt sind, noch drei weitere hat - von diversen Frauen.