Der Konflikt um die mehrheitlich von Albanern bewohnte Region ist alt. Er begann am 15. Juni 1389 . . .

Hamburg. Russland droht mit "verheerenden Folgen" für die internationalen Beziehungen, Serbien mit Sanktionen gegen das Kosovo. Die abtrünnige serbische Provinz will sich am Sonntag nämlich für unabhängig erklären. Das Parlament in Pristina verabschiedete am Freitag Gesetze, um nach der Unabhängigkeitserklärung binnen 24 Stunden eine "internationale Aufsicht" über das Kosovo zu ermöglichen.

Die EU will im Zuge ihrer Mission "Eulex" 1800 Polizisten und Juristen in das Kosovo entsenden, um dessen Eigenverwaltung zu ermöglichen. Eine gütliche Einigung über die Zukunft der Provinz war gescheitert. Der Westen wolle Serbien "einen sklavenähnlichen Status" aufzwingen, murrte Serbiens Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Und Präsident Boris Tadic versprach, er werde "den Kampf für unser Kosovo niemals aufgeben". Belgrad forderte den Sicherheitsrat auf, die Unabhängigkeitserklärung abzulehnen.

Es ist ein alter Konflikt. Am Anfang steht ein Mythos. Es war der 15. Juni 1389, als osmanische Kanonen ihre schweren Steinkugeln in das anstürmende serbische Heer schleuderten. Dem serbischen Fürsten Lazar unterstanden 25 000 Serben samt ein paar Bulgaren und Bosnier, dem osmanischen Sultan Murad 40 000 Türken samt Hilfstruppen.

Der Ausgang der Schlacht auf dem Amselfeld, dem Kosovo Polje, ist historisch nicht genau dokumentiert. Allgemein wird eine Niederlage der Serben angenommen, doch Notre Dame in Paris ließ damals die Kirchenglocken für den errungenen Sieg läuten. Möglicherweise war es ein blutiges Unentschieden, das jedoch die serbischen Widerstandskräfte auszehrte. Fürst Lazar wurde jedenfalls von den Türken getötet, Sultan Murad von dem serbischen Ritter Milos Obilic niedergestreckt.

Erst sehr viel später, 1459, gelang den Türken die Eroberung Serbiens. Die Schlacht auf dem Kosovo Polje wurde in Serbien zum Opfer-Mythos verklärt, zum Kampf zwischen Ost und West, Christentum und Islam, Gut und Böse. Auf dem Kosovo Polje hätten sich die Serben für den Westen geopfert. Das Amselfeld nahe der heutigen Stadt Pristina war vom 12. bis zum 14. Jahrhundert Kernstück des serbischen Reiches. In der Folge der Schlacht und des osmanischen Druckes verschob sich das Hauptsiedlungsgebiet der Serben jedoch nach Norden, Richtung Belgrad.

Aber für die Serben blieb das Kosovo noch immer das "Herz Serbiens" und unverzichtbares Kernstück ihrer Nation - ungeachtet der Tatsache, dass sich die knapp zwei Millionen Köpfe zählende Bevölkerung des Kosovo heute aus rund 91 Prozent muslimischen Albanern und nur noch sechs Prozent orthodoxen Serben zusammensetzt. Der Rest sind Minderheiten wie Türken, Kroaten oder Roma. Es ist eine direkte historische Konsequenz der damaligen osmanischen Expansion.

Der heutige Status des Kosovo, das nach dem Zweiten Weltkrieg Teil Serbiens und ab 1974 Autonome serbische Provinz war, ist einKuriosum: Ein autonomes Territorium innerhalb Serbiens, aber unter Uno-Verwaltung. Der Konflikt eskalierte, nachdem der nationalistische Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien, Slobodan Milosevic, Urheber der Kriege in Slowenien, Kroatien und Bosnien, 1989 unter Bruch der Verfassung von 1974 den autonomen Status der Region aufheben, Parlament und Regierung des Kosovo auflösen und Albaner aus öffentlichen Ämtern entfernen ließ.

Ein Bürgerkrieg der albanischen Guerillatruppe UCK gegen die serbische Armee sowie ethnische Vertreibungen und Massaker seitens der Serben folgten, schließlich der Krieg der Nato 1999 gegen die Bundesrepublik Serbien. Belgrad verlor - den Krieg und letztlich auch das Kosovo.

120 Abgeordnete sitzen im Parlament in Pristina, zehn von ihnen sind Serben. Premierminister ist der einstige UCK-Kommandeur Hashim Thaci. Problematisch für die Zukunft eines unabhängigen Kosovo ist aber nicht nur die Frontstellung zu Serbien und Russland. Wie aus einem Bericht des Uno-Sondergesandten Kai Ede hervorgeht, betrachten viele Politiker im bitterarmen Kosovo öffentliche Ämter und Institutionen traditionell als Privatbesitz. Posten werden vor allem aufgrund von Zugehörigkeiten zu Familienclans vergeben, die Korruption ist gewaltig.

Eine enorme Hypothek für den neuen Staat - und für Europa.