Hamburg. "Die Aussagen der Angeklagten liegen dem Gericht nicht vollständig vor, Einsprüche werden nicht bearbeitet, der Prozess schleppt sich dahin." Erdal Dogan spricht von dem Verfahren gegen die Mörder von Hrant Dink. Der 35 Jahre alte türkische Anwalt mit Spezialgebiet Menschenrechte ist ein enger Freund der Familie des armenisch-türkischen Journalisten, der vor einem Jahr in Istanbul erschossen wurde.

Die tödlichen Schüsse trafen Dink vor dem Gebäude der Wochenzeitung "Agos", deren Chefredakteur der Journalist war. Dink hatte offen vom Völkermord an den Armeniern gesprochen und deshalb mehrfach vor Gericht gestanden. Immer war der türkische Strafrechtsparagraf 301 "Beleidigung des Türkentums" Grundlage des Verfahrens gewesen. Im Mai 2006 hatte er in Hamburg den Henri-Nannen-Preis für Verdienste um die Pressefreiheit bekommen.

Als mutmaßlicher Mörder von Dink war der Jugendliche Ogün S. aus der Stadt Trabzon schon einen Tag nach der Tat verhaftet worden. "Der junge Mann und mutmaßliche Komplizen stehen zwar seit Juli 2007 vor Gericht, aber es gibt nationalistische Hintermänner, die bisher gedeckt werden", sagte Anwalt Dogan dem Abendblatt. Der Jurist vermutet diese Personen im türkischen Verfassungsschutz, bei der Polizei und der Justiz.

Kurz nach Dinks Tod hatten Hunderttausende demonstriert, am Trauerzug teilgenommen und "Wir sind alle Hrant Dink, wir sind alle Armenier" skandiert, um sich gegen den Nationalismus in der Türkei zu wenden. "Mittlerweile", so Dogan, "haben die Aktionen gegen die kurdische Arbeiter-Partei PKK den Nationalismus wieder befeuert."

Am heutigen Sonnabend wird es in der Türkei und auch in Deutschland Gedenkveranstaltungen unter dem Motto "Für Hrant, für die Gerechtigkeit" geben. Aber der Jahrestag dürfte auch den Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verstärken, den Paragrafen 301 abzuschaffen oder zu reformieren. Ankara wollte das Gesetz rechtzeitig vor Dinks Todestag ändern, doch innerhalb des Kabinetts gibt es Streit. Nun hat Erdogan eine Novelle für die kommenden Wochen angekündigt. Die Eröffnung von Verfahren soll erschwert werden; der Begriff "Türkentum" soll verschwinden und durch "türkische Nation" ersetzt werden.

"Es wird sich nicht viel ändern", meint Anwalt Dogan. "Wenn Paragraf 301 reformiert wird, gibt es noch 30 andere Paragrafen im Strafgesetzbuch, die sich mit der Beleidigung des Türkentums befassen. Dann werden eben die herangezogen."