“Es gibt den Willen zu töten“, stellt ein Bürgermeister fest. 80 Beamte verletzt. Staatschef Sarkozy beruft Krisensitzung des Kabinetts ein.

Villiers-le-Bel. Zwei Jahre nach den wochenlangen Vorstadtunruhen in Frankreich droht eine Wiederholung des Albtraums: Die zweite Nacht in Folge lieferten sich Jugendliche in Problemvierteln nördlich von Paris brutale Straßenschlachten mit der Polizei und zündeten Dutzende Autos und öffentliche Gebäude an. Rund 80 Sicherheitskräfte wurden verletzt, zum Teil schwer.

Einige Randalierer gingen mit bislang beispielloser Gewalt vor. Sie schossen nach Angaben von Innenministerin Michele Alliot-Marie aus Schrotflinten auf die Beamten. Sie rief die Bevölkerung auf, die "Straftäter" zu isolieren. "Wir haben es mit einer Stadtguerilla zu tun, die mit Schuss- und Jagdwaffen ausgerüstet ist", sagte der Generalsekretär der Polizeigewerkschaft Synergie, Patrice Ribeiro. "Wir fürchten ein Drama, weil sich unsere Kollegen nicht endlos beschießen lassen, ohne das Feuer zu erwidern." Die jüngsten Ausschreitungen seien gewalttätiger gewesen als im Herbst vor zwei Jahren. "Jetzt gibt es den Willen zum Töten", sagte der Bürgermeister von Sarcelles, Franççois Pupponi.

Die Krawalle von Villiers-le-Bel haben sich auf vier Nachbargemeinden ausgeweitet. "Ansteckungsgefahr" titelte die Zeitung "Liberation". Präsident Nicolas Sarkozy, derzeit auf Staatsbesuch in China, berief für heute eine Krisensitzung des Kabinetts ein.

Auslöser der Gewalt war ein tödlicher Motorradunfall. Lakhami und Mouhsin, 16 und 15 Jahre alt, waren am Sonntag mit ihrem nicht für die Straße zugelassenen Mini-Motorrad mit einem Streifenwagen zusammengeprallt und noch am Unfallort gestorben. Nach ersten Ermittlungen trugen die Beamten keine Schuld, mehreren Zeugen zufolge leisteten sie aber auch keine Erste Hilfe. Eine Untersuchung wegen unterlassener Hilfeleistung wurde eingeleitet.

Die jüngste Entwicklung weckt schmerzhafte Erinnerungen an den Herbst 2005. Damals waren in Clichy-sous-Bois, einem Vorort wenige Kilometer östlich von Villiers-le-Bel, zwei Jungen auf der Flucht vor der Polizei ums Leben gekommen. Die Ausschreitungen breiteten sich aufs ganze Land aus.

Die Lage in den Vorstädten, wo vor allem Einwanderer aus arabischen und afrikanischen Ländern leben, hat sich seitdem nicht merklich verbessert. "Die Diskriminierung hat ein Ausmaß erreicht, dass ein Funke genügt, damit sich die Frustration in scheinbar ungehemmter Gewaltbereitschaft entlädt", sagte der Soziologe und Kriminologe Sebastian Roche.

Nach Angaben von Innenministerin Alliot-Marie wurden in der Nacht zu gestern sechs Beamte schwer verletzt, weil sie im Gesicht, insbesondere in der Nähe der Augen, von Schrotkugeln getroffen worden seien. Die Lage sei "beunruhigend". Die Jugendlichen schleuderten Steine und Brandsätze auf die Sicherheitskräfte, die Polizei setzte Wasserwerfer, Elektropistolen und Gummigeschosse ein. Rund 70 Autos gingen in Flammen auf, außer zahlreichen Geschäften wurden eine Bibliothek und eine Vorschule in Brand gesteckt.