BERLIN/WARSCHAU. Nach den Irritationen zwischen Polen und Deutschland wegen des EU-Gipfels in Brüssel setzt die Bundesregierung auf eine Verbesserung der Beziehungen zum östlichen Nachbarn. Deutschland habe ein hohes Interesse, seinen "Beitrag zu engen und freundschaftlichen Beziehungen zu leisten", sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm gestern in Berlin. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in der ARD: "Es gab einige irritierende Argumentationen aus Polen", jetzt könne jedoch wieder an den Ausbau der deutsch-polnischen Beziehungen gegangen werden.

In Polen waren die Nachbeben der nächtlichen Brüsseler Gipfel-Hektik vom Wochenende noch deutlich zu spüren. Am drastischsten langte das konservative Magazin "Wprost" hin. Auf dem Titelbild zeigte das Blatt als Fotomontage eine barbusige Kanzlerin Angela Merkel, die die Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski an ihrem Busen nährt. "Die Stiefmutter Europas" stand auf dem Titel. In dem Bericht dazu wurden Deutschland "postkoloniale Reflexe" vorgeworfen.

60 Jahre nach Kriegsende seien "die Deutschen immer noch nicht in der Lage, Polen partnerschaftlich zu behandeln". Deutsche Politiker und deutsche Medien hätten einen "Frontalangriff" gegen Polen geführt, lautete der Tenor. Deutschland sei "von unserem Anwalt zu unserem Ankläger" geworden. Das Magazin "Wprost" - für seinen nicht ausgewogenen Blick auf den westlichen Nachbarn bekannt - steht mit dieser Auffassung inzwischen nicht mehr allein.

"Man gewinnt den Eindruck, dass (die deutschen Politiker) die Fähigkeit verloren haben, das Interesse Deutschlands vom Interesse Europas zu unterscheiden", kommentierte die Zeitung "Rzeczpospolita" gestern den Gipfelverlauf. Kritische Stimmen an die eigene Adresse gab es auch. "Passt Polen nach Europa?", fragte "Newsweek Polska". Experten warnten hier vor einer Selbstisolierung des Landes.

Während der dramatischen Tag-und-Nacht-Verhandlungen im Brüsseler EU-Ratsgebäude hatte die Kanzlerin zunächst die Reißleine gezogen und Polen öffentlich mit einer Isolierung im weiteren Reformprozess gedroht. Mit neuen Zugeständnissen wurde schließlich eine Einigung gefunden. "Diktat der deutschen Politik", war zwischenzeitlich noch ein milderer Kommentar aus Warschau gewesen.

Der Ministerpräsident von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, sieht die EU auf ein Europa der zwei Geschwindigkeiten zusteuern. Dies sei der "logische Ausweg aus den Sackgassen", in die selbstverliebte Staaten die EU immer wieder führten, sagte Juncker gestern. Er übte harte Kritik an Polen, das die Verhandlungen lange blockiert hatte. Juncker bezeichnete es im Deutschlandfunk als Zumutung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfel als EU-Ratspräsidentin mit dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski verhandeln musste, während dessen Bruder, Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, in Warschau den Daumen gehoben oder gesenkt habe. Hätte Merkel nicht "eine Engelsgeduld" aufgebracht, wäre der Gipfel gescheitert.

Den Kompromiss mit Polen im Streit über den Abstimmungsmechanismus wertete Juncker nicht als großes Blockadeelement für die Handlungsfähigkeit der EU. Bis 2014 komme man mit der Stimmengewichtung nach dem Nizza-System weiter. Auf Anfrage Einzelner kann das System auch bis 2017 angewandt werden.