Berlin. Erst wird SPD-Mann Ecke brutal zusammengeschlagen, nun trifft es Franziska Giffey. Die Polizeigewerkschaft fordert harte Reaktionen.

Mit Knochenbrüchen im Gesicht liegt Matthias Ecke in einem Dresdner Krankenhaus. Verprügelt, weil er Plakate für die SPD aufhängte. Der brutale Angriff auf den sächsischen SPD-Europaabgeordneten erschüttert nicht nur seine Partei, bundesweit herrscht Entsetzen über die Tat. Besonders im Osten Deutschlands fragen sich Wahlkämpfer jetzt: Wie sicher bin ich noch, wenn ich mit Plakaten unterwegs bin?

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SMS an Peter Goebel. Der 63-Jährige sitzt für die SPD im Stadtrat von Königstein im Elbsandsteingebirge. Diese Gegend ist seit Jahren fest in der Hand der Rechtsextremen. Goebels Wahlkreis, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 4, ist ein trauriges Fleckchen Erde für die SPD – auf 4,6 Prozent der Direktstimmen kam die Partei bei der Landtagswahl 2019, die AfD erzielte 36,7 Prozent. Doch Goebel ist keiner, der einfach hinwirft. Keiner, der das Gespräch mit den Menschen auf der Straße scheut – auch wenn er ihre Gesinnung kennt.

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    Angriff auf SPD-Politiker Ecke: Parteifreund spricht von „nackter, brutaler Gewalt“

    Nichtsdestotrotz zeigt er sich besorgt über die Angriffe auf seinen Parteifreund Matthias Ecke. „Was mit Fackelmärschen vor die Privathäuser von Politikern, dem Abkippen von Dung vor deren Grundstücken und dem Bedrohen von Kommunalpolitikern begann, endet nun in nackter, brutaler Gewalt“, sagt Goebel unserer Redaktion. Der Staat müsse sein Gewaltmonopol durchsetzen. Es dürften keine „No-go-Areas“ in Sachsen entstehen, in denen „Politiker demokratischer Parteien durch Gewalt mundtot gemacht werden“.

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    Zuletzt hatten sich die Meldungen über Angriffe auf Politiker verschiedener Parteien gehäuft, die Nachrichten kamen nicht nur aus Sachsen, nicht nur aus dem Osten der Republik. Die schwere Verletzung von Matthias Ecke ist jedoch der bisherige Tiefpunkt. Ein 17-Jähriger hat sich zu dem Angriff bekannt, gegen ihn wird ermittelt. Minuten vor der Attacke auf Ecke sollen er und drei weitere Jugendliche bereits einen Wahlkämpfer der Grünen geschlagen haben.

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    In Sachsen sind manche kaum überrascht davon, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Schließlich ist die Stimmung seit Jahren aufgeheizt, die AfD hat in etlichen Wahlkreisen die Oberhand und käme sachsenweit, wenn jetzt Landtagswahl wäre, auf gut 31 Prozent. Für die Sozialdemokraten sieht es ganz anders aus: Sie kämen auf sechs Prozent der Stimmen, gerade genug, um in den Landtag einzuziehen. Die Europawahl am 9. Juni ist ein erster Stimmungstest für die Landtagswahl drei Monate später.

    Peter Goebel aus Königstein im Elbsandsteingebirge: Der SPD-Mann sieht eine drastische Spaltung der Gesellschaft. Trotzdem will er weiter das Gespräch mit den Wählerinnen und Wählern suchen.
    Peter Goebel aus Königstein im Elbsandsteingebirge: Der SPD-Mann sieht eine drastische Spaltung der Gesellschaft. Trotzdem will er weiter das Gespräch mit den Wählerinnen und Wählern suchen. © SPD | SPD

    Wahlkampf im Osten: Polizeigewerkschaft spricht Klartext

    Was, wenn die gereizte Stimmung nicht nur bis zur Europawahl anhält? Sondern sich vor den für die AfD aussichtsreichen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September noch einmal verschärft – und die Demokratie langfristig Schaden nimmt?

    „All diese Attacken haben nur das eine Ziel: durch Gewalt, Einschüchterung und Bedrohung Demokratie praktisch nicht mehr lebbar zu machen und Menschen, die sich in unser Gemeinwesen einbringen wollen, einzuschüchtern und vom persönlichen Engagement abzuschrecken“, sagt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, unserer Redaktion. „Das ist übelste politisch motivierte Kriminalität, die harte Antworten und Abschreckung verlangt.“

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    Peter Goebel ist ebenfalls tief besorgt. „Der Ton ist rauer geworden, die Spaltung der Gesellschaft hat sich vertieft“, sagt der gelernte Versicherungskaufmann. Er wolle dennoch weiter das direkte Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen. Dabei hat auch er schon den Hass zu spüren bekommen. „Mein Auto wurde mit Graffiti beschmiert, im Internet wurde ich persönlich bedroht“, sagt Goebel. Über eines ist er sich im Klaren: „Was Matthias Ecke geschehen ist, kann mir auch passieren.“

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      Auch Jeremy Scheibe ist für die SPD auf der Straße unterwegs. Der 31-Jährige ist Wahlkämpfer in Brandenburg, genauer gesagt im Spreewald. Ihn beschäftigt derzeit nicht nur die Europawahl, sondern auch die Kommunalwahl in seiner Heimat Lübbenau und der Kreistagswahlkampf in der umliegenden Region. „Wir absolvieren gerade das ganze Programm: Plakate aufhängen, Stände machen, Flyer verteilen“, erzählt der Sozialdemokrat unserer Redaktion. Für Scheibe ist dies nur der Auftakt des Wahljahres. Er tritt auch bei der Landtagswahl an. In einer Region, in der die AfD fest verankert ist.

      Ein zerstörtes Büro der Partei Die Linke in Freital (Sachsen, Archivbild): Wahlkämpfer beklagen nach dem Angriff auf SPD-Mitglied Matthias Ecke erhöhte Gefahren für Parteimitglieder, die Plakate aufhängen und im öffentlichen Raum unterwegs sind.
      Ein zerstörtes Büro der Partei Die Linke in Freital (Sachsen, Archivbild): Wahlkämpfer beklagen nach dem Angriff auf SPD-Mitglied Matthias Ecke erhöhte Gefahren für Parteimitglieder, die Plakate aufhängen und im öffentlichen Raum unterwegs sind. © picture alliance / dpa | Arno Burgi

      SPD-Team im Spreewald prüft Sicherheitsvorkehrungen

      Bedrohungen hat er bisher nicht erlebt. „Es ist aber besser, in der Gruppe unterwegs zu sein, wir sind in der Regel zu dritt“, sagt der Stadtverordnete. Dafür gebe es ganz praktische Gründe: Einer steht auf der Leiter, der andere reicht das Plakat hoch, einer hält die Leiter. „Aber das hat auch Sicherheitsgründe.“ Das Bedrohungsgefühl sei sehr subjektiv, als Mann fühle er sich auf den Straßen eigentlich sicher beim Plakatekleben. „Aber wir werden jetzt im Wahlkampfteam überlegen, ob wir etwas umstellen müssen.“

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      Der Überfall auf Matthias Ecke könnte die Ehrenamtlichen verunsichern, die sich abends nach dem Job noch mit Plakaten und Leitern auf den Weg machen. „Wir werden zuerst abfragen, wie andere die aktuelle Lage wahrnehmen“, sagt Scheibe. „Dann müssen wir entscheiden, ob wir etwas anders machen: Sollten Frauen nicht alleine unterwegs sein? Müssen immer Dreierteams unterwegs sein?“

      Eines ist dem jungen SPD-Politiker aber trotz der sich zuletzt häufenden Übergriffe auf Wahlkämpfer wichtig: „Wir haben keine Angst, auf die Straße zu gehen. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Unsere Aufgabe ist es, die Demokratie zu verteidigen.“