Berlin. Gläubige sind zunehmend Gewalt, Hass und Hetze ausgesetzt. Der Staat muss sie schützen, doch auch die Gesellschaft hat eine Aufgabe.

Auch das ist Alltag in Deutschland: Bevor Menschen zum Beten zusammenkommen, müssen sie erst einmal ein Anti-Amok-Training absolvieren. So geschehen bei den Zeugen Jehovas in Essen, die nicht nur mit sieben toten Glaubensgeschwistern in Hamburg klarkommen mussten, sondern selbst massiven Drohungen ausgesetzt waren.

In Berlin und anderen Städten trauen sich Juden nicht mehr mit Kippa auf die Straße und lassen sich ihre abonnierte Tageszeitung „Jüdische Allgemeine“ per Briefumschlag nach Hause schicken. Katholiken finden Exkremente im Weihwasser, Muslime werden angegriffen und unter islamistischen Generalverdacht gestellt.

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Wer seinen Glauben lebt in Deutschland mit all den Prinzipien, die dem zugrunde liegen, wer gemeinsam beten, Gottesdienste feiern und seine Rituale pflegen möchte, ist tatsächlich immer öfter Hass und Gewalt ausgesetzt. „Angriffsziel Religionsgemeinschaft“, heißt es dazu nüchtern in den Polizeiberichten.

Verschwörungstheorien verfangen bei immer mehr Menschen

Der Blick in die Hintergründe zeigt: In den Köpfen der Aggressoren wabern wilde rassistische Theorien, globale Verschwörungsmythen über den geplanten Bevölkerungstausch und sonstige Geheimpläne einer Elite. Ihr Hass richtet sich vor allem gegen Juden, muslimische Zuwanderer und Geflüchtete. Ihr Glaube daran, sagen Experten, hat selbst religiöse Züge. All das ist nicht neu, doch seit der Corona-Pandemie sind es nicht mehr nur ein paar versprengte Spinner, über die man einfach die Schultern zucken kann.

Birgitta Stauber ist Textchefin in der FUNKE Zentralredaktion.
Birgitta Stauber ist Textchefin in der FUNKE Zentralredaktion. © Berlin | Reto Klar

Ermittlungen und Forschungen belegen, dass sich eine Bewegung zusammenbraut. Wozu Einzelne dieser Bewegung im Extremfall fähig sind, zeigt eben jener tödliche Angriff auf die Zeugen Jehovas in Hamburg im vergangenen Jahr oder auch der Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019. Damals wollte der Täter einen Massenmord an Juden an Jom Kippur begehen, am höchsten jüdischer Feiertag. Er schaffte es nicht, mit Waffengewalt in die verschlossene Synagoge einzudringen und erschoss schließlich zwei Zufallsopfer.

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Tatsache ist: Immer öfter wird die im Grundgesetz verbriefte Religionsfreiheit aus der Bevölkerung heraus gefährdet. Das fängt mit der Missachtung religiöser Gefühle an und endet in Gewalt, Hass und Terror. Damit wachsen die Herausforderungen an den Staat, der, wie es im Grundgesetz Artikel 4 heißt, „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ und auch die „ungestörte Religionsausübung“ gewährleisten muss.

Religionsfreiheit muss der Staat per Grundgesetz gewährleisten

Dazu gehört natürlich, Gefährder zu ermitteln, den Zugang zu Waffen zu verhindern und Moscheen, Kirchen, Synagogen und Gebetsräume zu schützen. Denn wenn Menschen gemeinsam ihren Glauben leben wollen, müssen sie sich sicher fühlen – und auch sicher sein. Es ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht die Religion der Nachbarn, Kollegen, Freunde und Familie zu behindern, sondern im Idealfall zu begleiten – und vielleicht sogar mitzufeiern.

Wenn an diesem Wochenende der Fastenmonat Ramadan beginnt, dann verdienen gläubige Muslime eben den Respekt, den Christen über Weihnachten und Ostern erwarten und Juden an Jom Kippur. Solange Glaubensgemeinschaften mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind, haben sie auf den Schutz des Staates und auch diesen Respekt der Bevölkerung Anspruch. Und das macht sie resilienter gegenüber Hass, Gewalt und Verschwörung.