Brüssel/Washington. Kommt der Krieg der Sterne? Was Russland im Weltraum offenbar plant – und wie sich China, die USA & Co. für den Konflikt im All rüsten.

Die Warnung vor der drohenden Gefahr durch russische Atomwaffen im All überraschte auch die Nato-Verteidigungsminister. „Das ist sehr, sehr neu für mich“, kommentierte in Brüssel Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Rande eines Nato-Treffens wortkarg die Enthüllung, die Stunden zuvor in Washington publik geworden war.

Nach US-Geheimdienstinformationen entwickelt Russland eine Atomwaffe für das Weltall. Sie soll das ausgedehnte Satellitennetzwerk der USA bedrohen. Diese satellitengestützte Killerwaffe könnte die zivile Kommunikation, die Überwachung aus dem Weltraum und militärische Kommando- und Kontrolloperationen der USA und ihrer Verbündeten zerstören.

Ein Albtraum westlicher Militärstrategen könnte zunehmend real werden: Im Moment seien die USA nicht in der Lage, eine solche Waffe zu stoppen und ihre Satelliten zu verteidigen, sagten US-Beamte nach übereinstimmenden Medienberichten, die sich auf Abgeordnete des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus stützen. Dass die unheimliche Bedrohung gerade jetzt publik wird, könnte taktische Gründe haben.

US-Repräsentantenhaus gerät wegen fehlender Freigabe für Ukraine-Hilfen unter Druck

So wächst der Druck auf das Repräsentantenhaus, ein 60 Milliarden Dollar schweres Paket zur Unterstützung der im Kampf gegen Russlands Invasion doch noch freizugeben. Zwar wies Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow die Berichte als „bösartige Hirngespinste“ zurück, aber das muss nach früheren Erfahrungen nichts heißen.

Der Westen ist alarmiert. In Brüssel nannte der kanadische Verteidigungsminister Bill Blair die Informationen über Moskaus Pläne „besorgniserregend“. Sein britischer Kollege Grant Shapps mahnte: „Wir müssen bereit sein für Herausforderungen im Weltraum.“

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Das Wettrüsten im Orbit ist ja längst im Gang. Nato-Militärs sehen mit Sorge, wie sowohl Russland als auch China eine stärkere Militarisierung des Weltraums anstreben – aber auch der Westen arbeitet an entsprechenden Technologien. Rückt der Krieg im All näher?

Es geht vorrangig nicht um Angriffe aus dem All auf die Erde, im Visier sind die aktuell rund 5000 Satelliten, die in vielen Staaten für Kommunikation, Navigation oder Erdbeobachtung unverzichtbar geworden sind – für das zivile Leben ebenso wie für militärische Einsätze am Boden, für Spionage, Frühwarnung oder Raketenlenkung.

China will Führungsmacht im Weltall werden

Die großen Militärmächte rüsten sich, die verwundbaren Satelliten des Gegners im Ernstfall außer Gefecht zu setzen, sie zu zerstören, durch Laser zu blenden oder durch Cyberattacken auszuschalten. Die Folgen können verheerend sein: Gegnerische Armeen wären unter Umständen blind und gelähmt, Tausende Zivilisten kämen durch den Zusammenbruch der Infrastruktur ums Leben.

Starlink ist ein satellitengestützter Internet-Dienstleister, der speziell im Ukraine-Krieg von enormer Bedeutung für die Kommunikation ist. Hier startet in Cocoa Beach in Florida eine SpaceX-Falcon-9-Rakete mit Starlink-Satelliten an Bord ins All.
Starlink ist ein satellitengestützter Internet-Dienstleister, der speziell im Ukraine-Krieg von enormer Bedeutung für die Kommunikation ist. Hier startet in Cocoa Beach in Florida eine SpaceX-Falcon-9-Rakete mit Starlink-Satelliten an Bord ins All. © DPA Images | Malcolm Denemark

Vor allem China strebt nach Einschätzung von Nato-Experten offensiv nach Dominanz, spätestens in 20 Jahren wolle es mit „aggressiven Technologie-Investitionen“ Führungsmacht im All sein: Westliche Geheimdienste berichten nervös von Pekings Plänen, Satelliten mit anspruchsvollen Cyberangriffen zu entführen oder ihre Daten abzugreifen.

Russische und amerikanische Satelliten gefährlich nah

China hat zu Demonstrationszwecken mit Raketen und Lasern vom Boden aus Satelliten abgeschossen oder beschädigt, aber auch schon sein geheimes Roboter-Raumflugzeug „Göttlicher Drache“ erprobt – so wie die USA heimlich ihr unbemanntes, kleines Hyperschall-Shuttle „X-37B“ im Orbit testen.

Russland lässt mehrere „Cosmos“-Satelliten im All kreisen, die US-Satelliten verdächtig nahe kommen und von denen vermutet wird, sie sollten als Killer-Flugkörper andere Satelliten nicht nur inspizieren, sondern im Ernstfall zerstören; „Cosmos 2543“ hat nach Angaben der US-Armee schon mal eine Art Projektil abgeschossen.

Auch Indien und Frankreich beim Wettrüsten dabei

Indien hat ähnlich wie die USA vom Boden aus Antisatellitenraketen (Asat) getestet. Frankreichs ehrgeizige Weltraumstrategie enthält ein Milliardenprogramm zur Entwicklung von Laserwaffen für seine militärischen Satelliten. „Wenn unsere Satelliten bedroht werden, planen wir, unsere Gegner zu blenden“, erklärt das Verteidigungsministerium in Paris unverblümt.

Und auch bereiten sich die USA vor, seit vor zwei Jahrzehnten die Warnung vor einem vernichtenden Überraschungsangriff, einem „Pearl Harbour im Weltraum“, die Politik in Washington alarmierte. Noch sind sie die USA nach eigener Einschätzung technologisch führende Militärmacht auch im All, ihre eigens gegründete Space Force zählt 8600 Soldaten.

Nato ist die Relevanz des Weltraums bewusst

„Die Kontrolle des Weltraums ist ebenso wichtig geworden wie die Dominanz zu Lande, zu Wasser und in der Luft“, heißt es in einem Bericht des unabhängigen Washingtoner „Zentrums für Strategische und Internationale Studien“. „Wer die Vorherrschaft im Weltraum verliert, riskiert, Kriege auf der Erde zu verlieren.“ Die Nato hat den Weltraum deshalb zum eigenständigen Einsatzraum erklärt und auf der Luftwaffenbasis in Ramstein ein „Nato Space Center“ gegründet. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt: „Die Allianz verfolgt nicht das Ziel, den Weltraum zu militarisieren, sie muss sich aber auf neue Herausforderungen einstellen.“

Auch die Bundeswehr stellt sich auf neue Bedrohungslagen im Weltraum ein: Die Luftwaffe betreibt ein neues Weltraumoperationszentrum  auf dem Paulsberg bei Uedem, das den kompletten Luftraum über Deutschland im Blick hat.
Auch die Bundeswehr stellt sich auf neue Bedrohungslagen im Weltraum ein: Die Luftwaffe betreibt ein neues Weltraumoperationszentrum auf dem Paulsberg bei Uedem, das den kompletten Luftraum über Deutschland im Blick hat. © picture alliance/dpa | Carsten Hoffmann

Eine erste Ahnung davon vermittelt der Ukraine-Krieg: Vom All aus haben westliche Geheimdienste frühzeitig und in ungekannter Präzision russische Operationsvorbereitungen aufgeklärt und zum Teil öffentlich gemacht, um Einsätze noch zu verhindern. Russland hat umgekehrt seine Fähigkeiten zu Cyberattacken im All demonstriert: So schaltete es kurz vor der Invasion Teile des amerikanischen Viasat-Netzwerks aus, rund 50.000 Nutzer in Europa verloren ihre Satelliten-Internetverbindung, darunter viele ukrainische Militäreinheiten – eine „Katastrophe“, wie die Armeeführung in Kiew später einräumte.

Immer wieder berichten Nato-Militärs über russische Störmanöver gegen Navigationssysteme. Doch die Enthüllungen über mögliche russische Atomwaffen im Weltall haben eine völlig andere Dimension. Es droht eine dramatische Eskalation.

Keine akute Gefahr durch neue nukleare Fähigkeiten Russlands

Mit solchen Plänen experimentierten vor Jahrzehnten die USA, sie fanden am Ende nur Eingang in „Star Trek“-Folgen. Mit dem Weltraumvertrag von 1967 wurden Atomwaffen im Weltraum verboten – er ist einer der letzten Rüstungskontrollverträge, die noch in Kraft sind.

Auch deshalb sehen US-Experten, so heißt es in den Medienberichten, ein Zeitfenster, um den Start des Antisatelliten zu verhindern. Die neuen nuklearen Fähigkeiten Russlands seien noch in der Entwicklung und bislang nicht zum Einsatz gekommen. Eine akute Gefahr besteht nach Geheimdienst-Erkenntnissen daher nicht.

Aber wenn Kremlchef Wladimir Putin weitermachen und aus dem Weltraumabkommen aussteigen sollte, dürfte dies das Wettrüsten im All gefährlich beschleunigen. Welchen Nutzen Moskau aus der neuen Waffe zöge, ist indes unklar. Mit Blick auf mögliche Trümmerteile, die im All ganze Umlaufbahnen für längere Zeit unbrauchbar machen können, warnte der Chef der US-Space Force, Chance Saltzman unlängst: „Es wie in einem Atomkrieg. Es gibt keinen Gewinner, wenn man in einen zerstörerischen Konflikt im Orbit gerät.“