Berlin. Bundeskanzler Scholz reist in die USA, die als größter Unterstützer der Ukraine auszufallen drohen. Nicht nur Kiew macht das Sorgen.

Bevor Bundeskanzler Olaf Scholz ins Flugzeug stieg, hatte er einen Gastbeitrag verfasst. Er erschien am Donnerstag im „Wall Street Journal“ und machte bereits die Runde, als der Kanzler in Washington landete. Scholz richtete sich darin an alle Verbündeten der Ukraine und warnte eindringlich davor, bei der militärischen Unterstützung nachzulassen. „Wir müssen unser Möglichstes tun, um zu verhindern, dass Russland siegt“, schrieb er. „Wenn wir das nicht tun, könnten wir bald in einer Welt aufwachen, die noch instabiler, bedrohlicher und unberechenbarer ist als während des Kalten Krieges.“

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Zuvor hatte der US-Senat ein 60-Milliarden-Hilfspaket für die Ukraine gestoppt. Es war verknüpft mit Hilfen für Israel und Maßnahmen zur Stärkung der Grenze zu Mexiko, um alle ins Boot zu bekommen. Es hatte ein Gesamtvolumen von 118 Milliarden US-Dollar, scheiterte aber, obwohl es Demokraten und Republikaner gemeinsam ausgehandelt hatten. Der Grund hat einen Namen: Donald Trump. Er hatte sich im Vorfeld der Abstimmung sehr deutlich gegen das Paket ausgesprochen und damit erfolgreich den Druck auf die Republikaner im Senat noch einmal deutlich erhöht. Das gilt vor dem Scholz-Besuch als klares Warnsignal, Abhängigkeiten zu verringern.

Vor Reise in die USA: Scholz ruft Verbündete zu mehr Hilfe für Ukraine auf

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    Sorge vor Wiederwahl von Donald Trump

    Zwar hofft die Bundesregierung nach wie vor, dass Joe Biden die Wahl im November gewinnt, doch sicher ist man sich nicht mehr. Die Sorge vor einer neuen „Zeitenwende“, wenn der Republikaner wieder ins Weiße Haus einzieht, ist groß. Donald Trump, dessen langer Schatten nicht nur über Washington liegt, ist der unsichtbare Begleiter von Olaf Scholz.

    Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, nannte die Blockade der Ukraine-Hilfen im Senat einen „ersten Vorgeschmack darauf, was drohen könnte, wenn Donald Trump im November abermals ins Weiße Haus gewählt wird“. Viel zu lange, so der SPD-Politiker im Gespräch mit dem Nachrichtenportal t-online, habe sich die EU darauf verlassen, dass die USA der entscheidende militärische Unterstützer der Ukraine bleiben. „Wir Europäerinnen und Europäer müssen endlich mehr Verantwortung übernehmen, um den russischen Imperialismus einzuhegen und zu stoppen“, sagte Roth. Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte, Deutschland müsse massiv in die eigene Sicherheit investieren.

    Militärexperte: „Der Westen muss bei der Munitionsproduktion in die Gänge kommen“

    Ein Thema, das kommende Woche auch ausführlich auf der Münchner Sicherheitskonferenz diskutiert wird. Deren Chef Christoph Heusgen hält eine europäische Sicherheitspolitik für unabdingbar – unabhängig vom Wahlausgang in den USA. „Die europäische Verteidigungspolitik muss ausgebaut werden“, sagte er im Gespräch mit dieser Redaktion. Auch sollte Europa das Angebot des französischen Präsidenten Emmanuel Macron annehmen, der bereit ist, über die „europäische Dimension des französischen Nuklearschirms zu sprechen“, so Heusgen. Aus seiner Sicht „wäre es ideal, wenn wir auch die Briten miteinbezögen“.

    Heusgen im Interview: „Es darf nicht ausgehen wie im 1. Weltkrieg“

    Besonders schnell und hart trifft die Ukraine der Stopp des milliardenschweren Hilfspakets. Der Militärexperte Carlo Masala nennt die Ablehnung angesichts der Situation an der Front eine „sehr bittere Pille“. Er sei skeptisch, so Masala im Gespräch mit dieser Redaktion, „ob Europa diese Lücke wirklich schließen kann“. Denn es gehe vor allem um die Art der Waffen. „Die USA haben immer mal wieder Raketen längerer Reichweite in den Lieferpaketen gehabt, die der Ukraine helfen, russische Ziele weit hinter der Front zu zerstören. Es wird schwierig sein, das zu ersetzen. Diese Waffen müssten produziert werden, weil die Streitkräfte sie selbst nicht in großer Anzahl in ihren Arsenalen haben“, so Masala.

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    Mit großen Anstrengungen könne vielleicht die finanzielle Lücke geschlossen werden, „aber auch das steht zunächst mal in den Sternen“. Der Westen habe sich im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht entschlossen genug gezeigt. Man wisse seit Langem, dass „der Westen bei der Munitionsproduktion in die Gänge kommen muss“, aber es passiere nichts, so Masala.

    Die USA waren seit Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar der wichtigste Unterstützer Kiews. Das könnte bald vorbei sein. Scholz warnte in seinem Gastbeitrag: Wenn es nicht gelinge, Putin zu stoppen, würden die langfristigen Folgen und Kosten alle bisherigen Investitionen in den Schatten stellen. Deutschland ist in der EU mit bisher geleisteter und bereits zugesagter Militärhilfe von mehr als 30 Milliarden Euro der mit Abstand wichtigste Waffenlieferant der Ukraine.

    Russland-Reportagen von Jan Jessen