Berlin. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagt, warum sie ihre Talkshow-Panne auch als Chance begreift – und was sie mit der AfD vorhat.

Kommen Neuwahlen? Die Stimmung vom Ricarda Lang ist besser als die Stimmung im Land. Im Interview mit unserer Redaktion sagt die Grünen-Chefin, wie die Ampel aus der Krise finden will, was sie für die schärfste Waffe gegen die AfD hält – und worauf Rentnerinnen und Rentner jetzt hoffen können.

Die Ampel hat das Vertrauen der Bürger verloren, das zeigen auch die Umfragen. Was hält diese Koalition noch zusammen, Frau Lang?

Ricarda Lang: Dass wir gemeinsam Verantwortung für dieses Land übernehmen wollen. Wir haben in den letzten zwei Jahren einiges hinbekommen, aber leider auch einen Vertrauensverlust erlebt. Unser Ziel im neuen Jahr ist, Vertrauen zurückzugewinnen.

Sie denken nicht daran, den Weg freizumachen für Neuwahlen?

Nein! Die Koalition hält bis 2025.

Der Neujahrsvorsatz der Koalition, nicht mehr öffentlich zu streiten, hat nur wenige Tage gehalten. Jetzt geht es um Kindergeld und Kinderfreibetrag. Welche Lösung sehen Sie?

Nicht jeder Austausch von Argumenten ist gleich ein Streit. Ich finde es im Sinne der Familien richtig, dass die Kinderfreibeträge ansteigen. Das ist auch ein gesetzlicher Auftrag. Dabei muss es aber gerecht zugehen. Wir müssen schauen, dass wir alle Familien mitnehmen.

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Sie wollen also auch das Kindergeld erhöhen.

Das sollten wir am Koalitionstisch diskutieren und nicht schon wieder öffentlich. Sonst wird der Frust in der Bevölkerung nur noch größer. Wir können es besser!

Es hapert nicht nur bei der Kommunikation, es mangelt auch an Regierungskunst. Selbst den Staatshaushalt hat die Ampel auf Sand gebaut …

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat weitreichende Folgen für Bund und Länder, weil es sehr grundsätzliche Fragen betrifft. In dieser Ausnahmesituation haben wir schnell eine Einigung gefunden, der Haushalt steht.

Aber um welchen Preis? Mit unausgegorenen Sparvorhaben haben Sie die Bauern auf die Barrikaden getrieben.

Im ersten Moment hatten wir eine überproportionale Belastung der Bauern. Ich bin Cem Özdemir sehr dankbar, dass er sich als Stimme der Landwirte für eine Korrektur eingesetzt hat. Jetzt haben wir einen Kompromiss gefunden, der ausgeglichen ist.

Woher würden Sie das fehlende Geld nehmen, wenn Sie freie Hand hätten?

Kurzfristig haben wir die Frage ja beantwortet. Langfristig bin ich dafür, dass wir die Schuldenbremse reformieren. Wir müssen Spielräume für Investitionen schaffen – etwa in unsere Schulen. Eine Reform der Schuldenbremse ist nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen, bleibt aber Ziel für die nächste Wahlperiode. Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag: Wir investieren heute, damit wir Wohlstand und Freiheit für die Zukunft sichern - für uns und die nächste Generation.

Wie nah sind Sie an der Lebenswirklichkeit der Menschen? In einer Talkshow vor ein paar Tagen konnten Sie nicht sagen, was Rentner in Deutschland bekommen…

Ich hatte die Zahl nicht parat, und natürlich ist das ärgerlich. Aber daraus ist eine Debatte über die Situation der Rentnerinnen und Rentner entstanden. Als Politikerin schaue ich selbstverständlich, was wir daraus machen können.

Und zwar?

Viele Menschen kommen im Alter kaum über die Runden – auch solche, die gar nicht schlecht verdient haben. Ein Grund sind die Pflegekosten, die teils so in die Höhe schießen, dass in vielen Fällen kaum etwas übrig bleibt von der Rente. Gute Finanzierungskonzepte für die Pflege bringen auch Entlastung für die Rentnerinnen und Rentner. Die Ampel bringt zudem gerade das Rentenpaket II auf den Weg. Wir wollen ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent des Durchschnittseinkommens gesetzlich verankern - und mit einem Generationenkapital eine neue Säule der Finanzierung einfügen.

Ricarda Lang ist eine der beiden Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen.
Ricarda Lang ist eine der beiden Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Wann kommt das Paket denn?

Auf jeden Fall in diesem Jahr.

Vier von zehn Rentnern, das hat das Statistische Bundesamt ermittelt, erhalten weniger als 1.250 Euro netto im Monat. Was verbessert sich für sie?

Das hängt von mehreren Faktoren ab. Gute Löhne – gerade auch für Frauen, die oft in Mini- und Teilzeitjobs arbeiten – sind die Voraussetzung für gute Renten. Wichtig wird auch sein, das Rentenalter zu halten. Eine Erhöhung über 67 hinaus würde zu einer Rentenkürzung für Berufsgruppen wie beispielsweise Bauarbeiter führen, die körperlich hart arbeiten und deswegen häufiger in Frührente gehen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag weitere Erhöhungen des Renteneintrittsalters ausgeschlossen.

Was wird aus der Rente mit 63?

Dabei bleibt es, denn sie ist Ausdruck von Respekt für die Lebensleistung. Gleichzeitig halte ich es für sinnvoll, Anreize für die zu schaffen, die länger arbeiten können und wollen. Zum Beispiel hat die Ampel ja schon Hinzuverdienstgrenzen aufgehoben. Es braucht flexible Modelle, die zur neuen Lebenssituation passen. Viele Menschen können sich zum Beispiel vorstellen, noch ein paar Stunden in der Woche im eigenen Betrieb weiterzuarbeiten, Erfahrungen weiterzugeben – und haben so einen Zuverdienst zur Rente.

Welchen Anteil hat die Ampel am Höhenflug der AfD?

Wir können Menschen zurückgewinnen, wenn wir Vertrauen in die Regierung wiederherstellen. Wir haben auch Fehler gemacht und können besser werden. Und wir müssen klar machen: AfD wählen ist kein Protest. Die AfD will die Axt anlegen, an das, was den allermeisten in dieser Gesellschaft wichtig ist: Unseren Wohlstand, unsere Freiheit.

Sie könnten der AfD den Wind aus den Segeln nehmen, indem Sie die Zuwanderung begrenzen.

In manchen Bundesländern, in denen die AfD momentan viel Zustimmung erhält, ist der Anteil der Zuwanderung sehr gering. Weniger Migration bedeutet nicht weniger AfD. Aus meiner Sicht hilft vor allem eine Politik, die konkret und vor Ort wirksam ist.

Die Zahl der Asylbewerber steigt, viele Kommunen sind überlastet.

Den Kommunen gilt es zu helfen. Aber ich warne davor, der AfD auf den Leim zu gehen und nur noch über Migration zu reden. Die Probleme vor Ort sind doch vielschichtig, beispielsweise: immer weniger, immer teurerer Wohnraum. Wer das nicht angehen will, sondern stattdessen gegen Menschen hetzt, baut keine einzige neue Wohnung, schützt keinen Mieter. Er sorgt nur für Hass und Spaltung.

Kanzler Scholz hat angekündigt, abgelehnte Asylbewerber im großen Stil abzuschieben. Gelingt das mit dem neuen Rückführungspaket?

Im Bundestag wurde das Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen. Wir sollten aber aufpassen, nicht falsche Erwartungen zu wecken. Drei Dinge sind jetzt wichtig.

Nämlich?

Erstens: Die europäische Asylreform soll zu einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge in Europa führen – momentan ducken sich immer noch einige Länder einfach weg. Zweitens wollen wir die Menschen schneller in Arbeit bringen, um aus Schutzsuchenden Steuerzahler zu machen. Drittens müssen wir endlich im großen Stil in die soziale Infrastruktur investieren, damit es genügend Wohnungen und Kitaplätze gibt.

Wie einig ist die Ampel bei der Bekämpfung der AfD? Geht das über Beifall für die Menschen hinaus, die gegen Faschismus demonstrieren?

Ich finde es unglaublich ermutigend, dass wir diese Bilder nicht nur in Hamburg oder Berlin sehen, sondern auch in Spremberg und Pirna. Das gibt ganz vielen Menschen Mut und ist ein wichtiges Signal, dass die Menschen Angriffe auf unsere Demokratie nicht akzeptieren. Natürlich stimmt es, dass wir als Ampel nicht nur klatschend am Rand stehen können. Ich habe ja schon gesagt: Das ist ein Auftrag an uns. Wir müssen gute Politik machen, die wirkt.

Stellen Sie einen AfD-Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht?

Unsere Demokratie ist wehrhaft, unser Rechtsstaat ist handlungsfähig gegen Verfassungsfeinde. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, die er uns gibt, gilt es abzuwägen und gegebenenfalls auch zu nutzen. So könnte man die Vorfeldorganisationen in den Blick nehmen, beispielsweise die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, oder die Identitäre Bewegung. Darüber hinaus sieht das Grundgesetz vor, Verfassungsfeinden die Parteienfinanzierung zu verwehren. Ich warne aber vor Schnellschüssen, es braucht Sorgfalt und Vorbereitung.

Der AfD den Geldhahn zudrehen - wie aussichtsreich ist das?

Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur NPD-Nachfolge „Die Heimat“ zeigt, dass es diese Möglichkeit gibt. Das gilt natürlich auch in anderen Fällen.

In den Umfragen für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegt die AfD teils mit großem Abstand vorn. Könnte Deutschland einen AfD-Ministerpräsidenten verkraften?

Noch ist Zeit, genau das zu verhindern. Björn Höcke in Thüringen setzt sich beispielsweise für die millionenfache Deportation von Andersdenkenden ein – ob mit deutschem Pass oder ohne. Es ist Aufgabe aller Demokraten, die AfD politisch zu stellen und klar zu machen, dass sie unsere Demokratie, unsere Wirtschaft, unser Land angreift.

Welche Mehrheiten sehen Sie jenseits der AfD?

Das sehen wir nach der Wahl. Am Ende muss gelten, offen für Kompromisse und geschlossen gegen Rechtsextremismus zu sein.

Erwarten Sie, das die CDU mit der Linkspartei zusammenarbeitet?

Demokratische Parteien – und dazu zähle ich die Linkspartei genauso wie die CDU – müssen in der Lage sein, zusammenzuarbeiten. Wo das nicht möglich ist, gewinnen die Feinde der Demokratie.

Im Osten müssen die Grünen um den Wiedereinzug in die Parlamente bangen, und im Bund liegen Sie in den Umfragen gerade bei 15 Prozent. Werden Sie trotzdem eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten für die nächste Bundestagswahl aufstellen?

Das Land bewegt, glaube ich, gerade wichtigere Dinge: Die – zum Glück sinkende – Inflation. Oder eben die Angriffe auf unsere Demokratie. Darum geht es. Personalfragen klären wir an anderer Stelle.

Ist die Frage offen?

Unser Führungsanspruch besteht weiter – auch für das Jahr 2025. Die Union hat uns aber gezeigt, dass es nicht das klügste Konzept ist, Kanzlerdebatten auf offener Bühne zu führen.

Werden Annalena Baerbock und Robert Habeck die Entscheidung wieder unter sich ausmachen?

Die Partei ist in dieser Frage führend.

Gibt es eine Mitgliederbefragung?

Wenn es mehr als eine Bewerberin oder einen Bewerber für die Kanzlerkandidatur gibt, werden wir eine Urwahl machen.