Arbeiten an der “Gorch Fock“ wohl noch bis Mai. Jahresbericht des Wehrbeauftragten beleuchtet erneut Verhalten der Ausbildungscrew.

Berlin. Die Ruhe nach dem Sturm kam per Zwangsverordnung. Rost und Risse wurden im Herbst bei der "Gorch Fock" festgestellt. Einfache Instandsetzungsarbeiten reichten da nicht mehr aus. Die "Gorch Fock" brauchte eine lange Pause. Die Elsflether Werft an der Weser ist seit Mitte Januar und voraussichtlich noch bis Ende Mai damit beschäftigt, das Segelschulschiff der Marine flottzubekommen. So ruhig wie jetzt war es schon lange nicht mehr um den Dreimaster. Ein Jahr ist vergangen, seitdem die Vorfälle an Bord die Schlagzeilen bestimmten. Der Tod einer 25 Jahre alten Kadettin im November 2010 war der Auslöser gewesen für eine hitzige Debatte über Führungs- und Ausbildungsprinzipien, über den Sinn von Traditionen in einer hochmodernen Seefahrtswelt und die Frage: Brauchen wir die "Gorch Fock"?

Die Antwort ist auch heute ein klares Ja aus Sicht der Marine. Die "Gorch Fock" soll wieder mit Kadetten in See stechen. Eines Tages. Der genaue Zeitpunkt ist unklar. Vieles hängt von den Reparaturen ab. Einen Ausbildungsjahrgang 2012 soll es aber geben.

Ein ganzes Kapitel widmet der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Hellmut Königshaus (FDP), den Vorfällen auf der "Gorch Fock" in seinem gestern vorgestellten Wehrbericht. Er "begrüßt", dass die Ausbildung reformiert werden soll. Er schreibt weiter, dass zukünftig die auszubildenden Seekadetten erst nach einer sechsmonatigen Dienstzeit an Bord gehen und dass sie durch "gezielte Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit" und durch ein "schrittweises Heranführen an die Arbeiten in der Takelage" intensiver auf die Ausbildung vorbereitet werden sollen. Dazu werde auf dem Gelände der Marineschule Mürwik in Flensburg ein Übungsmast errichtet, an dem das Aufentern geübt werden könne. Die Pläne lassen erkennen, dass die Marineführung aus den eklatanten Defiziten ihrer Ausbildung lernen will. Damit sich Ereignisse wie am 7. November 2010 nie wieder auf der "Gorch Fock" zutragen.

+++Bericht: „Gorch Fock" wird in Elsfleth repariert+++

An jenem 7. November, einen Tag, nachdem sie im brasilianischen Salvador de Bahia an Bord gegangen war, war Offiziersanwärterin Sarah Lena Seele aus der Takelage in die Tiefe gestürzt. Es heißt, sie sei erschöpft gewesen von der langen Anreise, vom Jetlag, vom ungewohnten Klima und vom kurzen Schlaf in der Hängematte. Die Kadetten hatten keine Übung am Mast, als sie anfingen aufzuentern. Sarah Lena Seele fiel 27 Meter tief, prallte auf das hölzerne Schiffsdeck und starb später im Krankenhaus an den Folgen ihrer schweren Verletzungen. Die Spannungen an Bord zwischen den Offizieren und ihren Auszubildenden spitzten sich nach dem Unfall zu. Erst Wochen später, im Januar 2011, wurde das ganze Ausmaß der fragwürdigen Vorgänge an Bord bekannt. Auch dazu trägt der Wehrbericht Erkenntnisse vor, die ein grelles Licht auf das Führungsverhalten der Offiziere werfen. So habe nach dem Tod der Kadettin die Schiffsführung die Notwendigkeit betont, die Reise fortzusetzen, während die Offiziersanwärter eine Diskussion über die Folgen des tragischen Unglücks verlangten. Die Schiffsführung drohte mit harschen Konsequenzen. Vier Kadetten wollte sie die weitere Ausbildung verweigern - mit zum Teil haltlosen Begründungen, wie Königshaus schreibt: In zwei Fällen seien die Anträge auf Ablösung mit der Weigerung zum Aufentern begründet worden, "obwohl der Kommandant das Aufentern zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits freigestellt hatte".

An anderer Stelle im Bericht ist von "Traditionen" auf der "Gorch Fock" zu lesen, die nicht mit den Grundsätzen einer zeitgemäßen Menschenführung zu vereinbaren waren. Doch hier geht der Bericht nicht auf die Details ein, die im Januar 2011 kolportiert wurden: So hätten die Kadetten etwa nach Saufgelagen das Erbrochene von Offizieren beseitigen müssen. Oder: Der Kapitän habe sich des Öfteren nur in Badehose gezeigt, um sich zu sonnen. Auch von sexuellen Übergriffen war die Rede.

Der Befehl, die Ausbildungsfahrt abzubrechen, kam dann aus Deutschland. Die "Gorch Fock" wurde vorerst aus dem Dienst genommen. Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) suspendierte Kommandant Norbert Schatz und schickte ein Ermittlerteam in die argentinische Hafenstadt Ushuaia, um dort an Bord der "Gorch Fock" die Vorfälle zu untersuchen. Die Untersuchungskommission kam Monate später zu der Erkenntnis, dass gegen die Schiffsführung erhobene Vorwürfe zum großen Teil nicht haltbar waren. Kommandant Schatz war damit entlastet.

Auch eine Strafanzeige der Mutter der verstorbenen Sarah Lena Seele wegen fahrlässiger Tötung blieb ohne Erfolg. Es hätten sich keine hinreichenden Anhaltspunke für strafrechtlich zu bewertendes Fehlverhalten von Verantwortlichen der Schiffsführung, Mitgliedern der Besatzung oder sonstigen Angehörigen der Marine ergeben, so die Kieler Staatsanwaltschaft im Juni. Der "Gorch Fock"-Kapitän wird dennoch nicht auf das Schiff zurückkehren. Er ist inzwischen in Rostock beim Marineamt beschäftigt. Der Kommandant hat einen Schreibtischposten.

Wie konkret die Marine bereits an der reformierten Ausbildung ihrer Kadetten arbeitet, ist unklar. Nichts sei spruchreif, alles noch in Bearbeitung, sagte eine Marine-Sprecherin dem Abendblatt. Entschieden ist allerdings, dass der neue Kommandant Helge Risch im August seinen Dienst auf der "Gorch Fock" antreten wird. Er kennt das Schiff gut. Er fuhr schon als 1. Offizier auf dem Schulschiff.

Fotogalerie mit historischen Bildern und Grafiken unter www.abendblatt.de/gorchfock