Am Sonnabend fand die größte Anti-Regierungs- Demo seit dem Ende der Sowjetunion statt. Kritik wegen Stellungnahme zu Betrugsvorwurf.

Moskau. Nach der größten Anti-Regierungs-Demonstration in Russland seit dem Ende der Sowjetunion hat Präsident Dmitri Medwedew am Sonntag die Regierung mit einer Untersuchung zu den Betrugsvorwürfen bei der Parlamentswahl vergangene Woche beauftragt. Am Sonnabend hatten zehntausende Menschen gegen den mutmaßlichen Betrug protestiert. Während die Polizei die Teilnehmerzahl der Großkundgebung in Moskau auf rund 30.000 schätzte, ließen Bilder aus der Luft eine weit höhere Zahl vermuten, die Veranstalter sprachen teilweise von mehr als 100.000. Die Polizei hielt sich weitgehend zurück, landesweit kam es zu rund 100 Festnahmen. Im staatlichen Fernsehen erhielten die Proteste überraschend viel Sendezeit.

Am Sonntag teilte Medwedew über das soziale Onlinenetzwerk Facebook mit, er habe die Regierung angeordnet, allen Berichten über mutmaßliche Wahlmanipulation nachzugehen. Gleichwohl fügte er an, dass er den Forderungen der Kundgebungen nicht zustimme. Innerhalb von nur einer Stunde handelte sich der Präsident mit seiner Ankündigung mehr als 2.200 wütende Kommentare ein.

So reagierten zahlreiche Internetnutzer mit Antworten wie «Schande!» oder «Wir glauben dir nicht». Andere Facebook-Aktivisten fragten den Präsidenten zynisch, ob er denn tatsächlich gegen die wesentliche Forderung der Demonstranten sei – also gegen den Slogan «Wir sind für faire Wahlen». Einige schrieben, die jüngste Nachricht Medwedews habe sie noch in ihrer Entschlossenheit bestärkt, an einer weiteren, für den 24. Dezember geplanten Demonstration teilzunehmen.

Neben der größten Demonstration in Moskau waren am Vortag auch in St. Petersburg 7.000 Menschen auf die Straße gegangen, um ihrem Ärger über den Ministerpräsidenten Wladimir Putin und dessen Partei Einiges Russland Luft zu machen. In mehr als 60 weiteren Städten kam es ebenfalls zu Protesten.

In Moskau trotzten die Demonstranten Schnee und Wind und standen Schulter an Schulter auf dem auf einer Insel in der Moskwa gelegenen Bolotnaja-Platz und in den angrenzenden Straßen. Die Behörden hatten die Erlaubnis für eine Kundgebung mit bis zu 30.000 Teilnehmern erteilt, aber die Polizei schritt nicht ein, als die Zahl offenkundig weit höher wurde. Auch eine nicht genehmigte Kundgebung auf dem Platz der Revolution und einen Marsch von dort zum Bolotnaja-Platz ließen die Beamten zu, die mit über 50.000 Mann die Demonstration überwachten.

Die Zahl der Festnahmen war mit – laut Polizei – rund 100 landesweit für russische Verhältnisse relativ gering. Üblicherweise greifen die Polizisten bei Oppositionsprotesten hart durch. Aus der Stadt Chabarowsk, nahe der chinesischen Grenze, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax rund 30 Festnahmen bei einem Blitzauflauf, einem sogenannten Flashmob-Protest. In der Stadt Perm in Sibirien seien rund 15 Menschen festgenommen worden.

Putin und seine Partei hatten bei der Wahl am vergangenen Sonntag ihre Zweidrittelmehrheit verloren, Einiges Russland kann aber dennoch alleine weiterregieren. Kritiker und internationale Beobachter werfen Einiges Russland Manipulationen bei der Wahl vor. Auch die unabhängigen russischen Wahlbeobachter von Golos erklärten am Samstag, die Partei habe «ihr Mehrheitsmandat nur durch Fälschung erreicht». In den Tagen nach der Wahl gingen bereits Tausende Menschen auf die Straße. Die Polizei ging mit Gewalt gegen die Demonstranten vor, Hunderte Menschen wurden festgenommen.

Bis zu 100.000 Kremlgegner demonstrieren in Moskau

Proteste gegen Putin: Zehntausende auf den Straßen

Die Demonstration in Moskau am Sonnabend zog Teilnehmer aus dem gesamten politischen Spektrum an – von Liberalen über Kommunisten bis zu den Nationalisten. Ein Teilnehmer an der Moskauer Demonstration, Alexander Trofimow, sagte, die Fälschungen, denen sich die Behörden schuldig gemacht hätten, hätten «das Land in ein großes Theater verwandelt, mit Clowns wie in einem Zirkus». Andere Demonstranten erklärten, die Parlamentswahl sei nur ein Katalysator für sie gewesen, ihrem Ärger über die zahlreichen Probleme im Land Luft zumachen. «Wir haben kein unabhängiges Gerichtswesen, es gibt keine Meinungsfreiheit», sagte der Protestteilnehmer Albert Jussupow. «All dies zusammen schafft eine Situation, in der Menschen zum Protest gezwungen sind.»

Bei einer Demonstration in der Stadt Wladiwostok riefen die Teilnehmer «Putin ist eine Laus», einige von ihnen hielten ein Banner, auf dem das Wappen von Einiges Russland karikiert wurde. Darauf war zu lesen: «Die Ratten müssen gehen.» Auch in Moskau skandierten die Demonstranten «Russland ohne Putin» oder «Einiges Russland ist eine Partei der Verbrecher und Diebe». (dapd/abendblatt.de)