Berlin.

Sind Marie und Paul bessere Schüler als Mehmet und Yasemin? Nimmt man nur die Schulnoten, stimmt das häufig: Kinder aus Zuwandererfamilien schneiden in der Schule oft schlechter ab als ihre deutschstämmigen Klassenkameraden. Alle Jahre wieder mahnen Schulstudien, dass Bildungserfolg in Deutschland noch immer eine Frage der Herkunft ist. Doch welche Rolle spielen dabei die Lehrer und deren Einstellungen? Migrationsforscher beklagen, dass in heutigen Klassenzimmern pädagogische Erwartungsmuster und Denkschablonen dazu beitragen, dass Kinder nicht die gleichen Lernchancen haben. Sprich: Viele Lehrer trauen Mehmet und Yasemin von vornherein weniger zu als Marie und Paul.

Umfragen zeigten zwar, dass die meisten Lehrer Zuwanderern gegenüber offener eingestellt seien als der Durchschnitt der Deutschen. Dennoch seien viele der Ansicht, dass etwa Muslime weniger bildungsorientiert seien als die Mehrheitsgesellschaft, erklärte die Berliner Migrationsforscherin Naika Foroutan am Donnerstag in Berlin. Bildungsforscherin Petra Stanat hat zudem herausgefunden, dass manche Lehrer gerade bei türkischstämmigen Kindern schwächere Leistungen erwarten, selbst dann, wenn sich die Schüler in ihren bisherigen Ergebnissen und ihrem sozioökonomischen Status nicht von deutschen Kindern unterscheiden. Für ihre Studie „Vielfalt im Klassenzimmer. Wie Lehrkräfte gute Leistung fördern können“ haben die beiden Professorinnen des Berliner Instituts für Integrations- und Migrationsforschung zusammen mit den Forschern des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration Umfragen und Schulexperimente ausgewertet.

Die Ergebnisse betreffen nicht nur eine Minderheit: Jeder dritte Schüler hat ausländische Wurzeln, Vielfalt ist längst Alltag in deutschen Klassenzimmern. „Wir wissen“, sagt Stanat, „dass Stereotype unser Denken und Handeln beeinflussen können, selbst wenn wir diese Vorannahmen nicht glauben. Unsere Studie zeigt, dass dies auch in der Schule vorkommen kann.“ Und zwar nicht nur dann, wenn Lehrer einem Kind automatisch weniger zutrauen, weil es einen türkischen Namen hat. Sondern auch dann, wenn die Pädagogen besonders hohen Lerneifer erwarten, weil ein Kind aus einer asiatischen Familie kommt, oder besonders gute Mathenoten, weil es aus einer russischen Familie stammt.

Um den pädagogischen Vorurteilen auf die Spur zu kommen, haben Stanat und ihre Mitarbeiter bei einem Schulversuch mit 68 Grundschulklassen im Ruhrgebiet das Verhalten der Lehrer über einen längeren Zeitraum beobachtet: Erstklässler, denen die Pädagogen den Wechsel zum Gymnasium zutrauten, wurden häufiger aufgerufen, die Lehrer beschäftigten sich auch länger mit ihnen. Weil viele Pädagogen trotz gleicher Ausgangsleistungen Kindern mit türkischem Hintergrund weniger Chancen aufs Gymnasium ausrechneten, bekamen sie auch weniger Aufmerksamkeit als die Kinder mit osteuropäischen oder deutschen Wurzeln, so das Fazit der Forscherin. Problematisch sei zudem, dass viele Kinder das Stereotyp vom schwachen Schüler verinnerlichen würden – das Vorurteil werde so zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

Nicht beantworten kann die Studie die Frage, wo genau das Vorurteil der schwächeren Leistungsfähigkeit beginnt – und wo Lehrer nach Jahren der Praxis bei ihren Erwartungen schlicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Denn: Viele türkische Eltern haben zwar einen hohen Bildungsanspruch, unterstützen ihre Kinder oft aber nicht so stark, wie es in anderen Familien üblich und möglich ist. Das hat viele Gründe – unter anderem Sprachpro­bleme, Probleme mit dem deutschen Schulsystem, eigene Bildungsdefizite.

Lehrerbildung muss besser auf die Vielfalt vorbereiten

Unterstützung brauchen jedoch nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer: „Lehrkräfte haben wie alle anderen Menschen auch Denkmuster und Vorurteile“, sagte Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), dieser Zeitung. Um Denkschablonen abzulegen, müssten sowohl angehende als auch erfahrene Lehrer besser unterstützt werden: „In der Aus- und Fortbildung der Lehrer müssen wir ein Bewusstsein für die Vielfalt in den Klassenzimmern fördern und weg von der Betrachtung der Fehler hin zu einer Stärkung der Stärken kommen.“ Tepe forderte die Lehrer aber auch auf, kritisch mit sich selbst zu sein: „Wir müssen immer wieder unsere eigene Haltung reflektieren.“ Dazu müsse der Staat aber deutlich mehr Ressourcen bereitstellen.