BerliN.

Es sind Sätze, die vor einigen Monaten noch seltsam geklungen hätten. „Wir Europäer müssen unsere Sicherheit stärker selbst in die Hand nehmen“, sagt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Exklusiv-Interview. Kurz danach ist sie am Telefon mit ihrem amerikanischen Amtskollegen verabredet.

Sie haben die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten nach eigenem Bekunden als „schweren Schock“ erlebt. Hat er nachgelassen?

Ursula von der Leyen: Nach der Wahl haben viele gesagt, es komme nur darauf an, Donald Trump die richtigen Leute an die Seite zu stellen. Inzwischen sind wir eine Runde weiter. Ich kann mit großem Respekt und Hochachtung über meinen amerikanischen Kollegen sprechen. Verteidigungsminister Jim Mattis ist differenziert, hochgebildet, erfahren, anerkannt, besonnen. Besser könnte die Beziehung nicht sein. Der Präsident allerdings hinterlässt mit seinen Einlassungen bei vielen Partnern Ungewissheit, so auch bei uns. Enge Verbündete sollten in den Kernfragen gemeinsamer Interessen ein Grundvertrauen spüren.

Wie haben Sie Trumps ersten Besuch bei der Nato wahrgenommen?

Ich bedauere, dass Präsident Trump im Nato-Hauptquartier bei der Enthüllung des Mahnmals für den Anschlag auf die Twin Towers nicht die Gelegenheit ergriffen hat, ein Plädoyer für unsere gemeinsamen Werte zu halten.

Der US-Präsident sagt, Deutschland schulde der Nato riesige Summen. Zahlen Sie nach?

In der Nato gibt es keine Schuldenkonten. Aber es gibt Vereinbarungen und den Willen zu fairer Lastenteilung. Die Gipfelerklärung von Wales wurde beschlossen lange bevor Trump Präsident wurde.

Hält sich Deutschland an die Zusage, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben?

So wie alle Nato-Staaten sich verpflichtet haben, dieses Ziel bis Mitte der nächsten Dekade anzustreben. Wir werden in Verteidigung investieren, nicht nur, weil es richtig ist, dass wir Deutsche und Europäer unseren fairen Teil der Lasten tragen müssen, sondern auch, weil die Bundeswehr für die Einsätze, in die wir sie schicken, ausgebildet und ausgestattet sein muss. Die Bundeswehr wächst angesichts ihrer vielen Aufgaben wieder – nach einem Vierteljahrhundert permanenter Schrumpfung. Aber wenn wir wachsen, wollen wir europäisch wachsen. Das Brexit-Referendum und die amerikanische Wahl haben uns die Augen geöffnet. Wir Europäer müssen unsere Sicherheit stärker selbst in die Hand nehmen.

Kann sich Europa nicht mehr auf den Beistand der USA verlassen?

Ich gehe ganz klar davon aus, dass wir uns nach wie vor auf die Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nato-Vertrages stützen können – und zwar beiderseits des Atlantiks. Amerika ist mehr als das Weiße Haus. Und gerade jetzt sprechen auch viele Amerikaner klar aus, darunter viele Senatoren und Abgeordnete, dass es auch im eigenen amerikanischen Interesse ist, unverbrüchlich hinter unseren gemeinsamen Werten und unseren gemeinsamen Verpflichtungen zu stehen. Sie haben nicht vergessen, dass wir nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 alle zu Artikel 5 gestanden haben.

EU-Kommissionspräsident Juncker stellt sich Europa auch als „militärische Macht“ vor. Geht es darum, der Nato Konkurrenz zu machen?

Nein. Die EU ist keine Konkurrenz zur Nato, sondern eine Ergänzung mit einer ganz eigenen europäischen Farbe. Die EU verbindet militärische Mittel, die wir noch besser koordinieren müssen, mit zivilen Mitteln – etwa Investitionen in Entwicklung und Stabilisierung. Ein erster Meilenstein ist die Gründung der europäischen Kommandozentrale in Brüssel. Das Bild, das Jean-Claude Juncker gezeichnet hat, zeigt große Schritte in die richtige Richtung hin zu einer Europäischen Verteidigungsunion.

Läuft es auf eine gemeinsame europäische Armee hinaus?

Nein, eine europäische Armee wird es nicht geben. Es werden Streitkräfte der Europäer bleiben. Die nationalen Parlamente müssen entscheiden, in welche Einsätze ihre Soldaten gehen.

Wie viel wird Deutschland in den geplanten europäischen Verteidigungsfonds einzahlen?

Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron haben ihre Verteidigungs- und Finanzminister beauftragt, eine deutsch-französische Initiative für den europäischen Verteidigungsfonds bis zum Ministerrat der beiden Staaten am 13. Juli auszuarbeiten. Die Finanzminister werden die Finanzierungsmechanismen ausloten, und die Verteidigungsminister werden die sinnvollen Projekte beschreiben.

Welche Projekte schweben Ihnen vor?

Wir könnten gemeinsam die Euro-Drohne im europäischen Verteidigungsfonds finanzieren. Wir könnten einen besseren deutsch-französischen Lufttransport ermöglichen und andere Europäer einbeziehen. Wir könnten auch in der fragilen afrikanischen Sahelzone für mehr Stabilität sorgen. Das wäre ein Schlüssel, um Waffen- und Menschenschmuggel zu reduzieren und den Terror zu bekämpfen. Auch eine gemeinsame europäische Offiziersausbildung könnte ein Projekt sein. Das wird ein kraftvoller Schritt nach vorn. Deutschland und Frankreich wollen der Motor einer europäischen Verteidigungsunion werden und dabei den Verteidigungsfonds klug einsetzen.

Was können Deutsche und Europäer noch zur Stabilisierung Afghanistans beitragen? Die Sicherheitslage am Hindukusch hat sich dramatisch verschlechtert ...

Die Präsenz deutscher und verbündeter Kräfte in Afghanistan wird noch eine Weile bleiben, und die Bedeutung von Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte ist nicht geringer geworden. Wir werden nicht zulassen, dass die Terroristen die Oberhand gewinnen. Dies verlangt unsere Geduld und im Gegenzug selbstverständlich die volle Entschlossenheit der afghanischen Verantwortlichen.

Kommen Ihnen Zweifel, ob die Afghanistan-Mission ein Erfolg werden kann?

Es ist schwer, Afghanistan zu stabilisieren. Aber ich bin davon überzeugt, dass dieses leidgeplagte Land es schaffen kann. Wir brauchen Geduld und einen langen Atem. Selbst im Kosovo ist die Bundeswehr seit fast 20 Jahren stationiert. In Afghanistan müssen wir wahrscheinlich in noch längeren Zeiträumen denken. Wir sollten nicht ständig fragen, wann wir abziehen können, weil das die Terroristen motiviert und die Menschen verunsichert, die ja gerne in der Heimat bleiben wollen.

Sie haben der Bundeswehr – nach rechtsextremistischen und sexistischen Vorfällen - ein „Haltungsproblem“ attestiert. Bleiben Sie dabei?

Nein, diese Pauschalität ist und war nie gemeint. Die Vorfälle haben uns sehr bewegt. Ich habe viele Gespräche mit den Kommandeuren, Spießen und Kompaniechefs geführt. Die große Mehrheit leistet einen hervorragenden Dienst und hat mein volles Vertrauen. Umso beschämender ist es, wenn einige wenige wie der rechtsextreme Soldat Franco A. unsere Werte mit Füßen treten. Genau dahin zielte meine Kritik.

Sie haben den Kommandeur der Kaserne in Pfullendorf versetzt, nachdem es Berichte über sexuelle Nötigung, Mobbing und Misshandlungen an dem baden-württembergischen Standort gegeben hat. Der Kommandeur stellt sich nun öffentlich als „Bauernopfer“ dar ...

Die Defizite in Teilen der Führung, Ausbildung, Erziehung und Dienstaufsicht in Pfullendorf waren nicht wegzureden. Um dem Standort einen Neuanfang zu ermöglichen, wurden personelle Konsequenzen gezogen. Es geht um angemessene Führung und ein respektvolles Miteinander unabhängig vom Strafgesetz.

Reicht Ihr Rückhalt bei den Soldaten für eine weitere Amtszeit?

Die Truppe hat sich in den vergangenen Jahren hohen Ansprüchen gestellt und diese stark gemeistert. Umgekehrt hat sie erlebt, wie oft ich für sie gekämpft habe. Nach Jahren des Schrumpfens darf die Bundeswehr wieder wachsen mit Personal und Material. Ich bin zuversichtlich, dass wir miteinander auch durch diese schwierige Zeit durchkommen.

Sie wollen also Verteidigungsministerin bleiben?

Ja, ich würde unseren Modernisierungskurs gerne fortsetzen und verstetigen.