Berlin.

Fast vier Wochen ist Mesale Tolu inzwischen in Istanbul im Gefängnis eingesperrt. Ihre Anwälte in der Türkei haben bis heute keine Akteneinsicht bekommen, berichten Freunde. Ein Gerichtstermin steht noch nicht in Aussicht. Die deutsche Journalistin und Übersetzerin teilt ihre Zelle mit bis zu 15 weiblichen Häftlingen – und ihrem zweijährigen Sohn Serkan, den sie inzwischen zu sich in die Frauenhaftanstalt Bakırköy holen durfte. Ihre Familie, die zum großen Teil in Ulm lebt, durfte sie inzwischen mehrfach besuchen, allerdings bisher noch kein Vertreter des deutschen Konsulats.

Vor einigen Tagen ließ Mesale Tolu über ihre Anwälte eine Nachricht an ihre Freunde veröffentlichen, in der sie sich zunächst bei allen bedankt, die sich für ihre Freiheit einsetzen. „Freiheit und Gerechtigkeit sind nicht nur Worte, sie sind Bestandteile eines ehrenhaften Lebens“, schreibt sie. „Jeder Mensch wird eines Tages spüren, wie wichtig sie für uns sind.“ Sie habe gewusst, worauf sie sich einlasse, da sie sich in einem Land befinde, in dem „Andersdenkende ihrer Freiheit beraubt werden“. Sie wolle sich aber nicht einschüchtern lassen. „Im Gegenteil, wieder einmal werde ich in meinem Kampf für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit bestätigt.“

Der 31-Jährigen wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Tolu arbeitete für die linksgerichtete Nachrichtenagentur Etha. Ihrem Vater sagte sie bei einem der Treffen: „Ich bin Übersetzerin und Journalistin, aber sie versuchen mir eine Schuld anzulasten.“ Außerdem übe die Polizei „psychischen Druck“ aus. „Sie haben gesagt: Du bist eine deutsche Agentin.“ Ihr Vater sagte, er stehe in enger Verbindung mit den deutschen Behörden.

„Mesale ist eine starke Frau“, sagt Baki Selcuk, Sprecher von Mesale Tolus Familie, dieser Zeitung. Er habe viele Jahre mit ihr in einem Verein für türkische Arbeitsmigranten zusammengearbeitet. Baki Selcuk hält seit mehr als einer Woche den Kontakt zwischen der Außenwelt und den Verwandten. „Erst heute morgen konnte der Vater mit Mesale telefonieren“, sagt Selcuk, „aber das Telefonat wurde ohne Begründung nach zehn Minuten von den Behörden unterbrochen.“ Mesale beklagte auch, dass für ihren Sohn Serkan der ständige Beton im Gefängnis keine gute Umgebung sein.

Mesales Vater Ali Riza vermutet, dass die Verhaftung seiner Tochter und anderer kritischer Journalisten wie Deniz Yücel damit zusammenhänge, dass Deutschland türkischen Staatsbediensteten Asyl gewährt. „Das ist offensichtlich die Revanche“, so Tolu.

EU-Menschenrechtsgericht behandelt Fall Yücel vorrangig

Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel ist inzwischen seit 100 Tagen in Haft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kündigte am Freitag an, er wolle dessen Fall mit Vorrang behandeln. Das berichtet die Welt. Yücel hatte vor dem Gericht in Straßburg Beschwerde gegen seine Untersuchungshaft eingelegt. Er sitzt seit Ende Februar wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda in Einzelhaft. Anfang April hatten nach langem Drängen der Bundesregierung erstmals Botschaftsvertreter Zugang zu Yücel. Der Journalist hat neben der deutschen auch die türkische Staatsangehörigkeit, weshalb Deutschland nach dem Völkerrecht keinen Anspruch auf konsularische Betreuung hat. Yücel hat öffentlich erklärt, sich einem Prozess in der Türkei stellen zu wollen.

Beim Fall Mesale Tolu ist die Lage zwar eindeutig, denn sie hat ihre türkische Staatsbürgerschaft abgegeben, als sie 2009 den deutschen Pass bekam. Nach internationalem Recht ist damit das deutsche Konsulat für sie zuständig. Die türkischen Behörden stellen sich trotzdem stur. Das deutsche Konsulat hat bisher zwei Besuchsanträge gestellt, die beide abgelehnt wurden. „Das Konsulat versucht weiter“, sagt Baki Selcuk, „einen Termin mit Mesale Tolu zu bekommen. Sie haben jetzt einen dritten Antrag eingereicht.“

In dieser Woche haben die Angehörigen Mesale Tolu wieder besuchen können. Bei diesem Treffen hat die 31 Jahre alte Frau noch einmal von ihrer Verhaftung am 30. April erzählt. Diese fand gegen 3.30 Uhr in der Nacht statt, und einer der Beamten habe den zweijährigen Sohn bei Nachbarn abgegeben, die Mesale Tolu kaum kannte. Außerdem erzählte sie von ihren Haftbedingungen: Sie darf demnach in ihrer Zelle keine Zeitung lesen oder andere türkische Nachrichten empfangen.

In dieser Woche fanden Solidaritätskundgebungen statt. Im Schweizer Neuchâtel, in Nürnberg, Köln und an diesem Freitag noch einmal in ihrer Heimatstadt Ulm und in Istanbul. Ihr Bruder Hüseyin Tolu tritt zum Teil auf diesen Kundgebungen auf. „Stern-TV“ hat er gesagt, dass seine Schwester gewusst habe, dass etwas passieren würde, dass sie verhaftet werde. „Aber“, so Hüseyin Tolu weiter, „mit dem Ausmaß, dass man nachts, vermummt, die Türe kaputt schlägt, hat meine Schwester nicht gerechnet.“

Mesale Tolu hat jedoch ihre Hoffnung noch nicht verloren. Ihre letzte Nachricht aus dem Gefängnis an ihre Unterstützer beendet sie mit einem hoffnungsvollen Satz: „Ich bin mir sicher“, schreibt sie, „dass bald die grauen Wolken verschwinden und die sonnigen Tage kommen werden.“