Warschau.

Frank-Walter Steinmeier ist als Freund nach Polen gekommen, aber eine kritische Spitze erspart er den Gastgebern nicht. Berlin und Brüssel sehen den Rechtsstaat in Polen in Gefahr, das kann der Bundespräsident kaum ignorieren. „Wir haben uns auf den Rechtsstaat als Mittler verständigt, er ist der Garant von Freiheit und Demokratie“, mahnt Steinmeier am Freitagmittag bei einem Besuch der Warschauer Buchmesse. Er wirbt in einer kurzen Rede für das Bemühen um Verständigung, er warnt vor den „Versuchungen der Unfreiheit“ und politischer Einflussnahme auf Kunst und Literatur. Der Bundespräsident spricht die Regierung der rechtskonservativen PiS-Partei nicht direkt an. Aber jeder versteht, dass es um ihre Eingriffe in Justizsystem und Medien geht.

Ein paar Demonstranten stehen am Rand und halten Büchlein mit der polnischen Verfassung hoch, sie werfen der polnischen Regierung und Staatspräsident Andrzej Duda Verfassungsbruch vor. Steinmeier schenkt ihnen keine Beachtung. Er bettet seinen kritischen Hinweis hier in wohlüberlegte Worte über den Wert der Literatur für das deutsch-polnische Verhältnis, sodass niemand beleidigt sein kann.

Gastgeber Duda nickt mehrmals: Es ist ja offensichtlich, dass der Bundespräsident und seine Frau Elke Büdenbender an diesem Freitag nicht zum Antrittsbesuch nach Polen gekommen sind, um die tagespolitischen Kontroversen anzuheizen. Im Gegenteil: Die beiden Staatsoberhäupter konzentrieren sich ausdrücklich auf die längeren Linien, etwa auf die tiefen kulturellen Beziehungen. Deshalb der Besuch der Buchmesse, bei der Deutschland diesmal Gastland ist. Und deshalb die vielen kleinen Gesten, die helfen können, das angeknackste Verhältnis der beiden Staaten wieder zu verbessern.

Steinmeier gibt sich alle Mühe. Schon am Morgen beim Empfang mit militärischen Ehren vor dem Präsidentenpalast ruft der deutsche Gast der Ehrenformation auf Polnisch ein „Guten Morgen, Soldaten“ zu. Er habe als Jugendlicher begonnen, Polnisch zu lernen, es aber bald wieder aufgegeben, erzählt Steinmeier später. Seine Mutter stammt aus Breslau, er hat „sehr persönliche Erfahrungen mit der gemeinsamen Geschichte“. Polen sei ihm von Studentenzeiten an vertraut, die Beziehungen beider Länder ein „Herzensanliegen“, erklärt der Bundespräsident an Dudas Seite.

Umgekehrt ist es eine besondere Ehre, dass Steinmeiers Kolonne auf dem Weg zum Grabmal des Unbekannten Soldaten, wo der Präsident einen Kranz niederlegt, von einer Reiterstaffel mit 25 Pferden eskortiert wird. Duda preist Steinmeier als großen Anwalt der deutsch-polnischen Beziehungen. Lachend verrät er auch, Lieblingsschriftstellerin seiner Frau Agata Kornhauser-Duda, einer Deutschlehrerin, sei die deutsche Bestsellerautorin Charlotte Link. „Wir müssen Trennendes überwinden“, fordert der polnische Präsident. „Unsere Rolle ist es, Hitzköpfe mit Wasser zu begießen, damit sie nicht zu laut werden.“ Das zielt auf Scharfmacher in beiden Staaten.

Es sind erstaunlich freundliche Töne in schwierigen Zeiten, die das deutsch-polnische Verhältnis gerade erlebt. Die nationalkonservative Regierung von Premierministerin Beata Szydlo hat nicht nur antideutsche und antieuropäische Ressentiments geschürt und die deutsche Flüchtlingspolitik torpediert. Große Besorgnis hat sie vor allem mit der Entmachtung des Verfassungsgerichts und massiven Eingriffen in öffentlich-rechtliche Medien ausgelöst: Die EU-Kommission hat Polen mit einem Rechtsstaatsverfahren unter Beobachtung gestellt, am Ende könnte der Entzug der polnischen Stimmrechte in der EU stehen – allerdings sind die EU-Länder uneins, der der Ministerrat hat erst Anfang dieser Woche Sanktionen gegen Polen vorerst ausgeschlossen.

Steinmeier will sich mit Duda und Macron zusammensetzen

In Warschau wurde aufmerksam registriert, dass Steinmeier mit seinem Antrittsbesuch spät dran ist – sein Amtsvorgänger Joachim Gauck hatte Polen als erstes Auslandsziel gewählt. Steinmeier kommt erst zwei Monate nach Amtsantritt, was mit dem Termin der Buchmesse begründet wird, aber wohl auch ein Zeichen dafür ist, dass Polens Bedeutung innerhalb der EU gelitten hat. Die Vorbereitungen waren kompliziert, ein kurzes Treffen mit Ministerpräsidentin Szydlo kommt erst kurzfristig zustande.

Zu Duda aber findet Steinmeier einen Draht. Der Staatspräsident versucht gerade, seinen politischen Spielraum gegenüber der Regierungspartei PiS auszubauen. Er ist zu einigen Reformvorhaben auf Distanz gegangen und wirbt jetzt für eine Volksdebatte über die Verfassung. Ein Hoffnungszeichen, vielleicht.

Der Bundespräsident setzt jedenfalls darauf, dass Polen für die EU noch nicht verloren ist. Ein positives Signal ist vor allem die Verabredung Steinmeiers und Dudas, sich bald mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris zu treffen: Die Einladung liegt schon vor, das Trio will das „Weimarer Dreieck“ der drei Staaten nutzen, um die EU aus der Krisenzone zu bringen. „Polen gehört zum Kern Europas“, ruft der Bundespräsident den Gastgebern zu. „Polen wird gebraucht, wenn wir die Krise überwinden wollen.“