Stockholm/London. Schweden stellt Ermittlungen gegen Julian Assange ein. Die ecuadorianische Botschaft in London kann der Wikileaks-Gründer trotzdem nicht verlassen

Seit fünf Jahren sitzt Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. Jetzt ist der Wikileaks-Gründer ein freier Mann – zumindest theoretisch. Die für den Fall verantwortliche schwedische Staatsanwältin Marianne Ny hat die inzwischen siebenjährige Voruntersuchung wegen umstrittener Vergewaltigungsvorwürfe zweier Schwedinnen eingestellt. „Es erscheint nicht länger verhältnismäßig, den Haftbefehl für Julian Assange in seiner Abwesenheit aufrechtzuerhalten“, sagte Ny in Stockholm. Alle Möglichkeiten, den Fall zu untersuchen, seien „erschöpft“.

Die ecuadorianische Botschaft in London wird der Australier allerdings nicht verlassen können, um sich in das südamerikanische Land zu begeben, das ihm politisches Asyl gewährt. Die britische Polizei kündigte am Freitag an, ihn weiterhin verhaften zu wollen. Der Grund: Assange hat sich 2012 dem Zugriff der britischen Polizei entzogen und damit gegen Kautionsbedingungen verstoßen.

Assange zeigte sich am Freitag – mit gereckter Faust – auf dem Balkon der Botschaft. Den wartenden Journalisten sagte der inzwischen 45-Jährige, die Entscheidung der schwedischen Justiz sei ein „wichtiger Sieg“. Zuvor hatte er sich auf Twitter bitter beklagt: „Ohne Anklage“ habe man ihn „festgehalten, während meine Kinder groß geworden sind und mein Name verleumdet wurde“, so der Australier. Er fuhr fort: „Ich vergebe und vergesse nicht.“

Seit fünf Jahren versteckt sich Assange auf engstem Raum in der kleinen Botschaft. Ein Laufband ist seine einzige Bewegungsmöglichkeit. Sein Anwalt Per Samuelson sagte dieser Zeitung vor Kurzem, dass die Situation „offenbar psychisch sehr zermürbend“ für Assange ist.

Die Vorwürfe gegen den Wikileaks-Gründer sind umstritten. 2010 hatte er über seine Enthüllungsplattform Details über das Vorgehen der US-Streitkräfte im Irak anhand von geheimen US-Militärdokumenten und Videos enthüllt. Im gleichen Jahr tourte er durch Schweden, wo er mit zwei jungen Frauen, die ihm bei einer Kampagne halfen, Sex hatte.

In Schweden ist die rechtliche Schwelle für den Tatbestand einer Vergewaltigung niedriger als in anderen Ländern. Laut den Aussagen der Frauen im durchgesickerten Voruntersuchungsbericht hatte sich Assange vor allem zuschulden kommen lassen, dass er entgegen deren Willen kein Kondom beim ansonsten einvernehmlichen Sex benutzt hatte. Die Frauen brachen den ungeschützten Verkehr auch nicht ab. Eine der Frauen scherzte, nach eigener Aussage, danach gegenüber Assange gar: „Wenn ich ein Kind bekomme, nennen wir es Afghanistan.“ Beide Frauen gaben auch an, nach dem Verkehr zunächst weiter freundschaftlichen Kontakt zu Assange gehabt und ihn bei seinen Plänen in Schweden unterstützt zu haben.

Deshalb wurde der Verdacht vermutlich auch amtlich als „weniger grobe Vergewaltigung“ bezeichnet. Die Einstufung stammt von der als Frauenrechtlerin bekannten Staatsanwältin Marianne Ny. Sie hatte die von ihrer Urlaubsvertretung bereits fallen gelassene Anzeige nach ihrer Rückkehr ins Büro im Herbst 2010 entgegen gängiger Praxis wieder aufgenommen. Assange war da bereits legal nach Großbritannien ausgereist.

USA könnten Anklage gegen Assange vorbereiten

Ny ist bekannt für umstrittene Forderungen. So hatte sie einmal öffentlich gefordert, dass Männer, die von Frauen der Misshandlung beschuldigt werden, schon vor einem rechtsstaatlichen Prozess vorsorglich eingesperrt werden müssten. „Erst wenn der Mann gefangen genommen ist und die Frau in aller Ruhe Zeit bekommt, mit etwas Abstand auf ihr Dasein zu blicken, bekommt sie die Chance zu entdecken, wie sie behandelt wurde“, forderte sie öffentlich.

Dass die USA hinter der ganzen Sache stecken, gilt als unwahrscheinlich. Auch Assange hatte sich von dieser Verschwörungstheorie distanziert. Vielmehr hatte er einfach Pech, so zumindest die gängige Meinung seiner schwedischen Anhänger. Viele Schweden glauben aber auch an seine Schuld. Vor allem weil er sich nicht stellte. Allerdings wurde die Debatte in den schwedischen Medien nicht immer sachlich geführt. So wurden die zumindest bezüglich des Tatbestandes einer Vergewaltigung relativ entlastenden Aussagen der vermeintlichen Opfer von den großen Landesmedien kaum thematisiert. Assange hatte sich geweigert, nach Schweden zu kommen, weil Stockholm ihm keine Nichtauslieferungsgarantie an die USA geben wollte.

Großbritannien hält sich bedeckt darüber, inwieweit die USA einen Auslieferungsantrag gestellt haben. Der US-Sender CNN hatte Ende April unter Berufung auf amtliche Kreise gemeldet, dass die Trump-Administration eine Anklage gegen Assange wegen der Veröffentlichung geheimer US-Dokumente vorbereitet.