Düsseldorf/Berlin. Umfragen sagen für die Landtagswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Wer am Sonntag siegt, hat Rückenwind für die Bundestagswahl im September

Sie haben sich alle ins Zeug gelegt: Kanzlerin Angela Merkel beschwört im sauerländischen Brilon die Schützen-Tradition. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz spricht in der Leverkusener Fußgängerzone über Gerechtigkeit. FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner redet auf dem Aachener Marktplatz vor allem über Christian Lindner.

Am Sonntag wird in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland gewählt, und die Abstimmung gilt zu Recht als kleine Bundestagswahl. 13,1 Millionen Menschen sind an Rhein und Ruhr wahlberechtigt – mehr als ein Fünftel aller Wahlberechtigten in Deutschland. Die Landesregierung in NRW ist auch auf Bundesebene ein Machtfaktor, ihre Stimme hat bundesweit Gewicht.

Auch haben sich politische Zäsuren auf Bundesebene oft in Nordrhein-Westfalen angebahnt. 2005 verlor Rot-Grün in NRW, der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder rief noch am Abend der Niederlage Neuwahlen im Bund aus. Die Folge: In Düsseldorf übernahm damals für eine Legislatur Jürgen Rüttgers, in Berlin Angela Merkel (beide CDU). Auch diesmal wird es spannend: Noch vor wenigen Wochen galt ein Sieg der SPD in NRW als sicher, nun sagen die Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU voraus. Da alle Parteien Dreier-Konstellationen ausgeschlossen haben, scheint als wahrscheinlichstes Szenario ein große Koalition. Doch wer führt diese an?


Hannelore Kraft und
Martin Schulz (SPD)

„Alles oder nichts“, heißt es für Ministerpräsidentin Hannelore Kraft am Sonntag. Dass die SPD ihren 39,1-Prozent-Sieg von 2012 nicht wiederholen kann, haben Parteistrategen längst eingepreist. Nun gilt es, irgendwie eine Nasenspitze vor der CDU zu landen und die Staatskanzlei in einer großen Koalition zu behaupten. Eine Juniorpartnerschaft unter einem CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet wäre ein schwieriges Signal für die SPD. Gelingt der SPD nicht, stärkste Partei zu werden, ist die politische Karriere der 55-jährigen Kraft wohl zu Ende. Wer die noch im Februar mit 100 Prozent Zustimmung zur Spitzenkandidatin gekürte Ministerpräsidentin ersetzen könnte, steht in den Sternen; einen Plan B zur allein auf Kraft ausgerichteten Wahlkampagne gab es nie.

Das Ergebnis der SPD in der Herzkammer der Sozialdemokratie kann auch über das politische Schicksal von Martin Schulz entscheiden. Mehr als 30-mal war Schulz in NRW im Wahlkampfeinsatz. Er muss kämpfen, schließlich liegt er null zu zwei nach Landtagswahlen hinten. Das Saarland und auch völlig überraschend Schleswig-Holstein gingen bereits an die CDU. Ein dritter Verlust, diesmal in NRW, wäre eine Schmach für den voller Strahlkraft gestarteten Hoffnungsträger der SPD. Eine erneute Niederlage ließe den Schulz-Effekt gänzlich verpuffen. Stattdessen müsste sich der mit hundertprozentiger Zustimmung gewählte SPD-Parteichef gegen einen Abwärtstrend stemmen. Und das, obwohl es inhaltliche oder persönliche Fehltritte von ihm nicht gab. Eher gab es ein inhaltliches Vakuum nach seiner fulminanten Nominierung.


Armin Laschet und
Angela Merkel (CDU)

Armin Laschet strahlte im Wahlkampf die Gelassenheit eines Mannes aus, der wenig zu verlieren hat. Dass die CDU über dem katastrophalen 26-Prozent-Ergebnis von Norbert Röttgen aus dem Jahr 2012 liegen wird, gilt als ausgemacht. Ebenso, dass es für eine Fortsetzung der rot-grünen Regierung aufgrund der schwächelnden Grünen nicht reicht. Und nach den jüngsten Umfragen hat Laschet sogar die Chance, das SPD-Stammland zu holen und sensationell NRW-Ministerpräsident zu werden. Der 56-Jährige ist bereits stellvertretender Vorsitzender der Bundes-CDU. Sollte er Ministerpräsident von NRW werden, würde er in den inneren Zirkel um Kanzlerin Merkel aufrücken. Doch selbst wenn es nicht zur Regierungsübernahme reicht, hat Laschet gute Chancen, Vizeministerpräsident in einem Super-Ministerium einer großen Koalition zu werden. Der Vater dreier Kinder setzte im Wahlkampf auf die Schulpolitik und die Sicherheit. Das kam im Land an.

CDU-Chefin Angela Merkel ist derzeit die Ruhe selbst. Ihre Umfragewerte steigen und sind auch für die CDU in NRW ein Pfund. Sieben von zehn Bürgern sagen im neusten ARD-Deutschlandtrend, Merkels Politik sichere die gute Wirtschaftslage, eine Mehrheit der Bundesbürger glaubt, dass sie in einer unruhigen Welt für Stabilität sorgt. Merkel tut das, was sie qua Amt tun muss: regieren, Deutschland in der Welt vertreten. Ein Triumph in NRW würde sie in ihrem unaufgeregten Kurs bestärken. CSU-Chef Horst Seehofer warnt bereits: Nur nicht übermütig werden. Positive Umfragen seien lediglich „schöne Trends“. Merkel ist das derzeit egal.

Christian Lindner (FDP)
Wenn es gut läuft für Christian Lindner, dann erreicht die FDP am Sonntag zwei Ziele: Sie fährt ein zweistelliges Ergebnis ein und wird drittstärkste Kraft im Düsseldorfer Landtag – vor Grünen, Linken und der AfD. Wenn es sehr gut läuft, dann ist die FDP sogar als Partner in einem neuen Regierungsbündnis gefragt – das ist den Umfragen zufolge jedoch unwahrscheinlich, da Dreier-Bündnisse von den Parteien ausgeschlossen wurden. Für den jungen FDP-Chef, der den Wahlkampf im Alleingang bestreitet, geht es auch nicht nur um NRW. Für ihn ist die Wahl im Westen der letzte und wichtigste Stimmungstest für die Bundestagswahl, bei der er ebenfalls als Spitzenkandidat antritt. Lindner will seine Partei unbedingt zurück in den Bundestag führen, am liebsten auch zurück an die Macht. Es wäre der größte Triumph in Lindners bisherigem politischem Leben. Dann, so viel steht bereits fest, würde das Gesicht der FDP auch nach Berlin wechseln. Lindner hat es im Wahlkampf vermocht, seine Partei geschlossen hinter sich zu vereinen. Allen ist klar: Scheitern die Liberalen bei dieser Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde, dann ist die FDP bundesweit endgültig erledigt.

Sylvia Löhrmann und
Cem Özdemir (Grüne)

Auch für die Grünen steht in NRW viel auf dem Spiel: Wenn sie ihr Wahlziel eines zweistelligen Ergebnisses klar verpassen, wird das auch an Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann festgemacht. Die Schulministerin wird für viele Probleme wie Inklusion, Turbo-Abitur und Unterrichtsausfall verantwortlich gemacht. Die grüne Kampagne wurde zudem intern bereits als 80er-Jahre-Chic verspottet. Bei einem Neuanfang in der Landtagsopposition würde die 60-jährige Löhrmann wohl auf die Hinterbänke geschoben.Wenn es für die Grünen schlecht läuft, scheitert die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde.

Für Grünen-Parteichef Cem Özdemir wäre eine solche Niederlage besonders bitter. Der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl schafft es seit Monaten nicht, seine Partei aus dem Umfrage-Tief herauszuholen. Der Sieg der Grünen in Schleswig-Holstein würde bei einem Misserfolg in NRW nur als Zwischenhoch bewertet. Schon jetzt sind der Öko-Partei die Nervosität, die Unsicherheit und der Frust anzumerken. Bei einem Scheitern an Rhein und Ruhr müsste man die gesamte Wahl-Strategie überdenken – Flügelkämpfe inbegriffen.

Özlem Demirel und
Sahra Wagenknecht (Linke)
Die prominente Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, hat ihren Wahlkreis in Düsseldorf. Bisher agiert die Partei in NRW jedoch nur als außerparlamentarische Opposition. Die 33-jährige Spitzenkandidatin Özlem Demirel setzte daher im Wahlkampf bewusst und verstärkt auf Angriff. Sie warf der rot-grünen Regierung vor, „die soziale Gerechtigkeit links liegen“ gelassen zu haben. Ein Erfolg für die Linke in NRW, wenn auch nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde, würde den schlechten Trend der Partei in westlichen Bundesländern durchbrechen.

Marcus Pretzell und
Frauke Petry (AfD)

Frauke Petry steht persönlich nicht zur Wahl – und doch im Mittelpunkt des Wahlkampfs: AfD-Chefin Frauke Petry ist verheiratet mit Marcus Pretzell, dem Spitzenkandidaten und Landeschef der AfD in Nordrhein-Westfalen. Beide erwarten in Kürze die Geburt des gemeinsamen Kindes. Der 43-Jährige Europa-Abgeordnete will die AfD erstmals in den Landtag führen – nach jüngsten Umfragen dürfte er das auch schaffen. Und seine Frau unterstützte ihn im Wahlkampf nach allen Kräften, es war für sie auch ein Werbezug in eigener Sache. Sie, aber auch ihr Mann, hatten sich für eine Kursänderung der Partei in Richtung der bürgerlichen Mitte eingesetzt – waren aber gescheitert. Petry gilt seitdem als angeschlagen, ein gutes Ergebnis in NRW dürfte ihr jedoch den Rücken gegen ihre mächtigen parteiinternen Kritiker stärken.