Düsseldorf. Werkshallen, Marktplätze – Hannelore Kraft (SPD) liebt Wahlkampf. Ob es gegen Armin Laschet (CDU) reicht?

Hannelore Kraft sitzt ganz hinten in ihrem Wahlkampf-Bus und wirkt aufgekratzt wie eine Schülerin vor Antritt der Klassenfahrt. „Komm’ Se durch! Letzte Bank! Wie früher inne Schule“, ruft sie in fröhlichem Ruhr-Deutsch den Journalisten entgegen, die sie an diesem Tag durch den Wahlkampftag begleiten. Gemurmel der Verwunderung. So herzlich hatte man Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin schon länger nicht mehr erlebt.

Kraft liebt Wahlkampf. Dieses Kumpeln in den Werkshallen. Die Selfies mit den Jusos. Diese Dialoge ohne Fallstricke. „Wie lange machen Sie das schon?“, fragt sie in einem Kindergarten einige Erzieherinnen. „38 Jahre? Oh, das geht ins Kreuz, oder?“ Wo andere Spitzenpolitiker das nächste Rednerpult herbeisehnen, ist Kraft ganz bei sich. „Nah bei den Leuten“, nennt sie ihre Spezialdisziplin.

Lange Zeit schien es, als würde die NRW-SPD allein wegen der Menschenfischerin Kraft die kleine Bundestagswahl am 14. Mai locker gewinnen. Doch nun deutet alles auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit CDU-Herausforderer Armin Laschet hin. Amtsbonus, SPD-Stammland, Spurenelemente des verpufften „Schulz-Effekts“ – die Sozialdemokraten versuchen hektisch, auf den letzten Metern alles Erdenkliche für die Mobilisierung zu nutzen. Beinahe im Minuten-Rhythmus feuert Krafts Wahlkampfzentrale mit Begleitmusik aus SPD-Landtagsfraktion und den „roten“ Landesministerien allerhand Erfolgsmeldungen in die Düsseldorfer Landschaft. Ob es noch verfängt?

Krafts Nein zu Berlin entsprach ihrem Politikstil

Seit dem Wahlsieg von 2012 ist manches an Rhein und Ruhr ins Rutschen geraten. Kraft wurde seinerzeit als Herzdame der SPD gefeiert und als Kanzler-Reserve gehandelt. Als manche Genossen nach der Bundestagswahl 2013 gegen eine große Koalition mobilmachten und auf Neuwahlen spekulierten, zog Kraft die Notbremse. Vor der Landtagsfraktion stellte sie klar, sie werde „nie, nie Kanzlerkandidatin“. Die Ansage wurde als schwerer taktischer Fehler gewertet, weil sich ein NRW-Ministerpräsident noch nie ohne Not in seinem Machtstreben beschränkt hatte. Johannes Rau war Kanzlerkandidat, Jürgen Rüttgers kam aus dem Bundeskabinett, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück zog es dorthin.

Es begann eine Debatte über die „Selbstverzwergung“ des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, die im Grunde bis heute andauert. Das Nein zu Berlin entsprach Krafts Persönlichkeit und Politikstil. Die 55-Jährige ist zwar Diplom-Ökonomin, spricht mehrere Sprachen, liebt Auslandsreisen und meistert persönliche Begegnungen mit chinesischen Führungskadern ebenso spielend wie mit Wissenschaftlern. Politisch sicher fühlt sie sich aber nur dort, wo sie verankert ist und gemocht wird. In Mülheim-Dümpten, wo die Tochter einer Schaffnerin und eines Straßenbahners bis heute ihren alten Freundeskreis zu Spieleabenden versammelt. Wo Ehemann Udo, ein Elektroinstallateur, im Wahlkampf Plakate klebt.

Kraft macht Politik wie eine Landes-Oberbürgermeisterin am liebsten aus persönlichem Erleben. „Sie muss Politik fühlen“, sagt ein Regierungsmitglied. In einem 18-Millionen-Land wie NRW ist das außerhalb von Wahlkampfzeiten schwer. Die Probleme sind immens. Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt hinken hinterher. Die Kinderarmut ist ebenso wie die Pro-Kopf-Verschuldung auf hohem Niveau, die Verkehrssituation eine Katastrophe, die Suche nach einem guten Kita-Platz schwierig. Die Schulen ächzen unter einem überhastet eingeführten Rechtsanspruch auf Inklusion, die Eltern machen gegen das „Turbo-Abitur“ mobil.

CDU-Herausforderer Laschet hat all das Negativ-Erleben vieler Bürger zu einer „Schlusslicht-Debatte“ verdichtet. Mehr musste der freundliche Aachener, der lange nicht einmal in der eigenen Partei richtig ernst genommen wurde, kaum tun. Die CDU-Hochburgen in Westfalen und am Niederrhein riefen lange nach einem strammen „Law and Order“-Mann oder sehnten einen neuen Friedrich Merz herbei. Doch Laschet (56), als Ex-Integrationsminister und eiserner Verteidiger der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel spöttisch „Türken-Armin“ gerufen, blieb sich selbst in schwerster Umfragen-Not treu. Der Verlauf des Wahlkampfes könnte ihm Recht geben: Merkel steht bei den Deutschen wieder deutlich höher im Kurs. Die CDU hat nach den Siegen im Saarland und in Schleswig-Holstein einen Lauf.

Kippt NRW? Kraft ärgert sich über das „Schlechtreden unseres Landes“. Kritiker kanzelt sie immer öfter mit dem Satz ab: „Da bitte ich um Verständnis, sorry!“ Sie fühlt sich von Experten und Medien regelrecht verfolgt und wehrt sich trotzig mit einem Wohlfühl-Wahlkampf. Schlichtes Motto: „NRWir.“ Zwischenzeitlich wirkte die sonst so leutselige „Chefin“ sogar amtsmüde. Der Tod ihrer Mutter hat sie im vergangenen Jahr mitgenommen. Sie selbst laborierte an einer Lungenentzündung. Die fast durchweg kritischen Porträts, die bundesweit seit eineinhalb Jahren über ihr niedergingen, haben Kraft stärker verunsichert, als sie zugeben würde. Sie hat sich einen Panzer aus Gegenargumenten zugelegt und aufs Recht-Haben verlegt. So sehr, dass ihr Innenminister Ralf Jäger trotz einer unheimlichen Serie an Skandalen im Amt bleiben durfte. Viele Genossen schimpfen intern über den „Wahlkampf-Betonklotz Jäger“. Kraft lässt das alles nicht an sich heran: „Ich bin jetzt im Wahlkampf-Tunnel“, sagt sie. Am Sonntag um 18 Uhr soll es wieder hell werden.