Peking. Moon Jae In kündigt Versöhnungskurs gegenüber Nordkorea an. Vor allem die junge Generation baut auf den Menschenrechtsanwalt

Freundliche Töne gegenüber dem atombesessenen Nordkorea, Schluss mit Korruption, weniger Leistungsdruck an den Schulen: Südkorea steht vor einem radikalen Politikwechsel. Grund ist der Wahlsieg des als neuer „Saubermann“ gefeierten linksliberalen Politikers Moon Jae In. Der Menschenrechtsanwalt hat den Urnengang um die Präsidentschaft am Dienstag mit überwältigender Mehrheit gewonnen. Nach Auszählung von 70 Prozent der Wahlkreise konnte der Kandidat der Demokratischen Partei mehr als 40 Prozent aller Stimmen auf sich vereinigen. Sein Kontrahent, der Konservative Hong Joon Pyo von der bisherigen Regierungspartei, kam auf 23,3 Prozent. Ahn Cheol Soo von den Liberalen landete bei nur 21,8 Prozent.

Die Wahl war nötig geworden, nachdem die bisherige Amtsinhaberin, die rechtskonservative Park Geun Hye, im März im Zuge eines Korruptionsskandals mit monatelangen Protesten abdanken musste. Sie soll es zugelassen haben, dass ihre Jugendfreundin Millionen an öffentlichen Geldern veruntreute. Mittlerweile sitzt Park in Untersuchungshaft. Wie auch viele ihrer Verbündeten, darunter der bis vor Kurzem noch mächtige Chef des Samsung-Konzerns. Ihnen drohen lebenslange Haftstrafen.

Im Wahlkampf hatte Moon mehrfach für einen Stopp der Verbalattacken auf Nordkorea plädiert und direkte Verhandlungen mit dem Regime in Pjöngjang vorgeschlagen – ein Tabu für die bisherige Präsidentin. Doch nicht nur im Umgang mit Nordkorea, das kurz vor dem Aufstieg zu einer Atommacht steht, will Moon einen neuen Kurs einschlagen. Die Wahl galt auch deshalb als richtungsweisend, weil sie in eine Phase des gesellschaftlichen Umbruchs fällt. Der Skandal um die Führungsspitze von Samsung, der das Gebaren der mächtigen, aber korrupten Großkonzerne („Chaebols“) generell infrage stellte, verunsichert viele Südkoreaner. Auch die wachsende Jugendarbeitslosigkeit und die alternde Bevölkerung sorgen für Unruhe. Dabei galt Südkorea bis vor Kurzem noch als ostasiatisches Musterland. Es verfügt über das schnellste Breitbandnetz der Welt, das Bildungssystem ist für seine Effizienz bekannt. Produkte von Samsung, LG, Hyundai oder Kia sind im globalisierten Konsumgüteralltag nicht mehr wegzudenken. Binnen von nur zwei Generationen ist es der Republik gelungen, von einem armen Agrarland zu einen der wohlhabendsten Handelsnationen aufzusteigen.

Doch dieses Entwicklungsmodell stößt an seine Grenzen. Südkoreas Wirtschaft wächst seit einigen Jahren sehr viel langsamer. Trotzdem werden junge Südkoreaner auch weiter zu immer mehr Leistung getrieben. Schüler und Studenten büffeln oft bis zur Erschöpfung, um im Berufsleben einen der begehrten Arbeitsplätze bei Südkoreas Großkonzernen zu ergattern. Doch davon gibt es immer weniger. Rund 70 Prozent der 25- bis 35-Jährigen haben einen Hochschulabschluss. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt trotzdem bei mehr als zwölf Prozent. Viele müssen daher weiterhin zu Hause bei Mama und Papa wohnen. Kein Wunder, dass Südkoreas Geburtenrate die niedrigste der Welt ist. Auf dem linksliberalen Politiker Moon ruht vor allem die Hoffnung der jungen Generation, mit den überholten Vorstellungen der extrem auf Leistung getriebenen Gesellschaft aufzuräumen.

Was Moons angekündigte Entspannungspolitik gegenüber Nordkorea betrifft, heißt sein Problem: Donald Trump. Der US-Präsident hat in den vergangenen Wochen mehrmals mit einem Alleingang gegen Kim Jong-un, den Diktator von Pjöngjang, gedroht. Weltweit wuchs daher die Sorge vor einem Militärschlag. Der Großraum der südkoreanischen Hauptstadt Seoul mit seinen 25 Millionen Einwohnern befindet sich unmittelbar an der nordkoreanischen Grenze. Zehntausende Artilleriegeschütze sind direkt auf die Metropole gerichtet. Auch ohne den Einsatz von nuklearen Waffen wäre Seoul binnen weniger Stunden in Schutt und Asche gelegt. Eine der größten Herausforderungen für Moon: Er muss Trump bändigen.