Paris/Brüssel/Berlin.

Als Emmanuel Macron am Sonntagabend vor dem Pariser Louvre-Museum die Arme hochriss und Tausenden Anhängern „Ich danke euch allen!“ entgegenrief, fiel einen Moment lang die ganze Anspannung ab. Erleichterung, Freude und eine Prise Genuss spiegelten sich in seinem Gesicht wider – nach einem der härtesten Wahlkämpfe in der Geschichte Frankreichs.

Viel Zeit zum Innehalten bleibt dem neuen Präsidenten nicht. Im Juni stehen Parlamentswahlen bevor. Ob Macron danach über eine stabile Mehrheit zur Umsetzung seines Regierungsprogramms verfügt, ist offen. Der Chef im Élysée-Palast verfügt über keine fest organisierte Partei. Er kann sich nur auf seine vor einem Jahr gegründete „Graswurzel“-Bewegung En Marche stützen. Diese hat mit 230.000 Mitgliedern zwar mehr Anhänger als die sozialistischen und konservativen Traditionsparteien zusammen. Doch sie muss innerhalb von sechs Wochen in eine schlagkräftige Partei verwandelt werden.

En Marche will in allen 577 Wahlkreisen mit eigenen Kandidaten antreten. Allerdings hat Macron versprochen, zur Hälfte „unverbrauchte Gesichter“, politische Neulinge, aufzustellen. Selbst wenn die übrige Hälfte aus Überläufern des linken Lagers und der gemäßigten Rechten bestehen dürfte, ist das eine gewagte Strategie. „Wir schaffen es trotzdem“, gibt sich der Führungsstab zuversichtlich.

Vor allem jedoch muss Macron nun jene Bürger auf seine Seite holen, die nicht oder nur mit großen Bedenken für ihn gestimmt haben. Gemeint sind keineswegs nur die knapp elf Millionen Le-Pen-Wähler. Die Wahlenthaltung erreichte am Sonntag die für ein Stechen um die Präsidentschaft ungewöhnlich hohe Marke von 25 Prozent. Knapp zwölf Millionen der 47 Millionen Wahlberechtigten hatten sich dem Urnengang verweigert, weitere vier Millionen gaben leere Stimmzettel ab.

Die erste Auslandsreise führt Macron zu Merkel nach Berlin

Bereits diese Umstände relativieren den Eindruck eines Erdrutschsiegs, den der auf Macron entfallene Stimmanteil von 66 Prozent suggeriert. Es kommt hinzu, dass laut den Demoskopen nur ein Drittel seiner Wähler aus Überzeugung für den jungen Präsidenten votierte, ein weiteres Drittel gab ihm nur mangels Alternative ihre Stimme und das letzte Drittel aus Abneigung gegen die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen.

In den kommenden sechs Wochen wird jeder Schritt, jede Geste des neuen Präsidenten zählen. Macron muss glaubhafte Zeichen setzen, dass er wirklich für eine bessere Zukunft steht und alle Franzosen auf dem Weg dorthin mitnehmen will. Als ersten Hinweis auf die Marschrichtung wird die Berufung seines Premierministers gewertet werden. Steht dieser eher links, eher rechts, oder ist er ein politisch nicht vorbelasteter Vertreter der Zivilgesellschaft? Ebenso aufmerksam wird die Zusammensetzung des Regierungskabinetts verfolgt werden.

Macron will rasch handeln und noch vor den Parlamentswahlen an die Umsetzung seiner Politik gehen. Als eine der ersten Aktionen hat er angekündigt, das Arbeitsrecht im Verordnungswege flexibler zu gestalten und den starren Kündigungsschutz zu lockern. Selbst wenn er dabei mit Augenmaß vorgeht, wird er es mit einer starken Front von grundsätzlichen Reformverweigerern zu tun bekommen. Vier der fünf großen Gewerkschaften haben bereits ihren beinharten Widerstand angedroht. Es winken Massenproteste wie unter den Vorgänger-Präsidenten François Hollande und Nicolas Sarkozy.

Einen Vorgeschmack lieferten Ausschreitungen, zu denen es noch am Sonntagabend in Paris, Lyon, Nantes, Grenoble, Poitiers, Montpellier und Straßburg kam. Linksradiale und antikapitalistische Gruppierungen waren gegen den „Präsidenten der Banker“ auf die Straße gegangen und hatten die Konfrontation mit der Polizei gesucht. Vor seiner Zeit als Wirtschaftsminister war Macron vier Jahre Partner bei der Pariser Investmentbank Rothschild.

Macron will kurz nach seiner Amtsübernahme am kommenden Sonntag als Erstes nach Berlin fliegen, um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu treffen. Sie sicherte Macron am Montag ihre Unterstützung zu. Zugleich warnte sie davor, sich in der Debatte nur auf die Forderung nach mehr Geld zu konzentrieren. „Ich möchte helfen, dass in Frankreich auch vor allem die Arbeitslosigkeit sinkt“, betonte sie. Aber sie sehe nicht, dass Deutschland dafür als Erstes seine Politik ändern müsse. „Ich glaube, dass es bei der Frage, ob mehr Arbeitsplätze entstehen können, zumindest um sehr viel mehr geht als nur um die Frage, wie viel Geld habe ich für öffentliche Investitionen.“ Hier stehe Frankreich nicht so schlecht da. Sie wolle abwarten, welche Wünsche und Vorstellungen Macron konkret habe. „Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass wir gut zusammenarbeiten werden“, sagte Merkel.

Dagegen forderte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), dass Deutschland mehr Geld in Europa investiere. „Wir haben in den Verhandlungen des Koalitionsvertrags zu wenig Wert auf Europa gelegt“, kritisierte er bei der Vorstellung seines Buchs „Neuvermessungen“ mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. „Aber das wird nicht noch mal passieren, da können Sie sichergehen.“ So steckten die Kommunen in Deutschland in einem Investitionsstau von über 100 Milliarden Euro. In den kommenden Tagen wolle er Vorschläge unterbreiten, wie eine von ihm angeregte „deutsch-französische Investitionspartnerschaft“ konkret aussehen könne, sagte Gabriel.

Juncker unterstützte Gabriels Vorstoß für mehr Investitionen, forderte aber von Macron gleichzeitig einen Kurswechsel in der Haushaltspolitik. „Die Franzosen geben zu viel Geld aus und geben Geld an der falschen Stelle aus“, sagte er. Frankreich verwende inzwischen bis zu 57 Prozent der Wirtschaftsleistung für die öffentlichen Haushalte. „Bei einem relativ hohen Schuldenstand kann das auf Dauer nicht gut gehen.“ Es gehe aber nicht, die französische Lebensart einfach einzureißen. Man müsse wissen, was gehe und was nicht.