Neumünster. Vier Tage vor der Landtagswahl will Martin Schulz den Sozialdemokraten mit zahlreichen Wahlkampfauftritten zum Sieg verhelfen

Im Februar badeten Schleswig-Holsteins Sozialdemokraten im Glück. Martin Schulz war erschienen. Der designierte Kanzlerkandidat und SPD-Vorsitzende hauchte der Partei neues Leben ein. Der „Schulzzug“, diese clevere Marketing-Erfindung, nahm Fahrt auf. Er sollte, so erträumten es sich die Genossen, ein Hochgeschwindigkeitszug werden, der Schulz direkt ins Kanzleramt bringt. Der Kandidat absolvierte umjubelte Auftritte in Schleswig-Holstein, die Säle waren überfüllt, viele Menschen mussten draußen bleiben. Der Erfolg zeigte sich schnell: Im März wurde die CDU in Umfragen überflügelt. Doch knapp zwei Monate später, kurz vor der Landtagswahl am kommenden Sonntag, ist aus dem rasenden Martinsexpress eine Bimmelbahn geworden. Die SPD-Werte fallen. In Schleswig-Holstein könnte es am Sonntag zu einer Vollbremsung kommen: Schulzzug gestoppt, Siegesgewissheit über den Haufen geworfen, Heilsbringer entzaubert.

In der Stadthalle Neumünster wird über dieses Szenario nicht geredet. Natürlich nicht. Bei allen Parteien gilt es jetzt, heitere Zuversicht zu verbreiten. Der Saal in der Stadthalle ist zwar nicht voll an diesem Nachmittag, vielleicht passte der Termin um 17 Uhr nicht allen interessierten Neumünsteranern in den Tagesablauf. Aber die Stimmung bei den rund 400 Besuchern ist gut, und Schulz wirkt zupackend. Ja, er spricht wieder von den Leuten, „die den Laden zusammenhalten“. Ja, er spricht über die AfD, die keine Alternative, sondern eine „Schande für Deutschland“ sei. Es sind Sätze aus seiner Hype-Zeit, es sind mittlerweile tausendmal gehörte, von vielen, vielen Medien verbreitete Sätze. Aber die Leute klatschen. Kein Zweifel: In der Stadthalle von Neumünster kommt der Schulz-Sound an.

Aber es fehlt auch etwas. Der Schulzzug hat zwar einen angekoppelten Waggon mit erprobten Phrasen, aber nach wie vor transportiert er wenig konkrete Verbesserungsvorschläge. Ja, die SPD steht für Gerechtigkeit. Aber wie will sie Gerechtigkeit schaffen? Ja, Schulz hat eine Steuerreform angekündigt, ebenso eine Rentenreform. Aber wie sollen sie aussehen? Das erfährt man in Neumünster nicht.

18 Minuten lang spricht Martin Schulz. Es ist keine schlechte Rede. Er schwört die Anwesenden darauf ein, zur Wahl zu gehen. Je höher die Wahlbeteiligung, sagt er, desto geringer sei die Chance, dass die AfD in den Landtag komme. „Mensch, Leute“, sagt er, „das wäre doch mal ein Signal, wenn das in Schleswig-Holstein gelänge.“ Großer Beifall.

Er lobt Torsten Albig, den sozial­demokratischen Ministerpräsidenten, der ihn bei seinem Auftritt begleitet. Albig hatte zuletzt wegen seiner Entscheidung, Flüchtlinge aus Afghanistan vorerst nicht abzuschieben, viel Kritik einstecken müssen. Kritik sogar aus den eigenen Reihen, erst von Außenminister Sigmar Gabriel, dann von Thomas Oppermann, dem Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Albig musste das – um es freundlich zu formulieren – als unfreundlichen Akt empfunden haben. Schulz, ganz Parteivorsitzender, kittet den Riss – und erinnert an einen Satz aus dem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gelte nicht nur für die Deutschen, sondern für alle Menschen. „Wenn einer sagt, ich halte die Leute hier, ich schiebe sie nicht ab, dann ist das eine Haltung, die uns ehrt“, sagt Schulz.

Er wechselt geschickt vom Schweren zum Leichten. Er macht einen Würselen-Witz. Er macht einen Witz über seine fehlende Reifeprüfung. „Da haben sich doch tatsächlich welche gefragt, ob ein Mann ohne Abitur Bundeskanzler werden kann“, sagt er. „Meine Antwort wird am 24. September, am Tag der Bundestagswahl, lauten: Ja, ein Mann mit Bart und ohne Abi kann durchaus Bundeskanzler werden.“

Beifall im Saal. Nicht euphorisch, aber kräftig. Ja, der Hype ist weg. Aber Schulz bleibt.