Kiew/Moskau.

Auf diesen Tag hat die russische ESC-Kandidatin ihr Leben lang gewartet. Live auf einer großen Bühne soll Julia Samoilowa am 9. Mai auftreten. Vor Tausenden im Publikum wird sie ihre Ballade „Flame is Burning“ vortragen. Jedoch: Nicht wie erhofft vor 200 Millionen Zuschauern. Nicht wie erwartet im Halbfinale des Eurovision Song Contest (ESC). Nicht wie geplant in Kiew. Sie singt stattdessen in Sewastopol, auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim.

Der Gastgeber Ukraine hat Russlands Kandidatin die Einreise zum ESC 2017 mit der Begründung verwehrt, dass sie 2015 auf der Krim aufgetreten ist. Die Ukraine sieht sich von Moskaus Entscheidung für Samoilowa provoziert. Dabei sind die Statuten der Veranstalter eindeutig: Alles ist rein unpolitisch, heißt es im Regelwerk der Europäischen Rundfunkunion EBU: „Kein Lied, kein Auftritt darf den ESC oder die EBU in Misskredit bringen.“ Politische Botschaften oder offene Streitereien zwischen Ländern sind verboten.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die seit drei Jahren verfeindeten Nachbarn Ukraine und Russland tragen ihre Spannungen auch auf der Showbühne aus. Immer wieder war Russland, seit 1994 regelmäßig bei dem Event unter den Top 10, im ESC wegen politischer Querelen mit anderen Ländern aufgefallen. 2009, wenige Monate nach der Georgien-Krise, hatte die EBU Tiflis untersagt, mit dem provokanten Titel „We don't want to Put In“ teilzunehmen. War das Lied gegen Kremlchef Wladimir Putin gerichtet gewesen? 2014, im Jahr der Krim-Krise, wurden russische Sängerinnen ausgebuht. 2015 wurde die russische Favoritin Polina Gagarina vor Millionenpublikum bei der Punktevergabe mit Pfiffen und Buhrufen überhäuft. 2016 siegte dann die Krimtatarin Jamala mit dem umstrittenen Lied „1944“, das die Verbannungsgeschichte ihres Volkes erzählt. Russland, in letzter Minute von der Ukraine auf Platz drei verwiesen, war erbost.

Beobachter sind sich sicher, dass Moskau mit der im Rollstuhl sitzenden Sängerin Julia Samoilowa ein abermaliges Buhkonzert verhindern wollte. Doch im Moment der Anmeldung zum diesjährigen Wettbewerb (Motto „Vielfalt feiern“) gab es das Veto aus Kiew.