Berlin.

Im Hause Özdemir ist das Auto Frauensache. Er brauche keines, sagt der Grünen-Chef. Doch er hat mit seiner Frau besprochen, welches Auto angeschafft wird. Er plädierte natürlich für ein Elektroauto. Doch dann haben sie einen Hybrid gekauft. Weil die Ladeinfrastruktur in Deutschland noch nicht so weit sei, sagt Özdemir. Er fordert ein „massives Investitionsprogramm“.

Das macht Cem Özdemir oft: politische Botschaften mit seiner Person verknüpfen, auch am Mittwoch auf dem grünen „Autogipfel“ in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Vor allem seine Herkunft – geboren in Baden-Württemberg als Kind türkischer Einwanderer – gibt da viel her.

Drittstärkste Kraft im Norden – das ist das Ziel für Sonntag

Doch auch das hilft nicht. Die Grünen sind in den Umfragen abgestürzt – auf sechs bis acht Prozent. Vergangenen Sommer lagen sie noch bei 13 bis 14 Prozent. Im Herbst wäre Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, fast für das Amt des Bundespräsidenten nominiert worden. Die Grünen waren selbstbewusst, surften auf einer Welle des Erfolgs. Doch dann kam Martin Schulz. Der SPD-Kanzlerkandidat holte seine Partei aus dem jahrelangen Jammertal. Für die Grünen wurde es sofort ungemütlich: Im Saarland flog die Öko-Partei vor ein paar Wochen sogar aus dem Landtag. Özdemir gehört zwar zu den beliebtesten Politikern Deutschlands, im ARD-Deutschlandtrend liegt er gleichauf mit Martin Schulz (48 Prozent). Doch es gelingt ihm nicht, das auf seine Partei umzumünzen. Es sieht düster aus, die Stimmung bei den Grünen ist angespannt. Viele Abgeordnete wären schon froh, wenn das Ergebnis von 2013 bei der Bundestagswahl im September wiederholt werden könnte – auch wenn die 8,4 Prozent damals als Niederlage empfunden wurden. Wäre das Wahljahr ein Fußballspiel, würde es so aussehen: Es ist noch nicht mal Halbzeit – und die Grünen liegen schon 0:3 zurück.

Aktuell haben die Grünen nichts in der Hand, um die Wende zu schaffen. Sie wirken angeschlagen, kraftlos. Nach der verlorenen Saarland-Wahl sagte Katrin Göring-Eckardt, neben Ödzemir Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, die Themen der Grünen seien „gerade nicht der heiße Scheiß der Republik“. Ratlosigkeit in der Sonnenblumen-Partei. Ihr Kernthema Ökologie zieht nicht. Und bei den Diskussionen um die großen Themen soziale Gerechtigkeit und innere Sicherheit spielen sie keine Rolle.

Die Grünen wollen jetzt einen Häuserwahlkampf machen. Also von Tür zu Tür gehen und mit den Menschen reden. Göring-Eckardt und Özdemir reisen durch die Republik und veranstalten sogenannte Town Hall Meetings, die auch gut besucht werden. Oberstes Gebot: Wahlkampf nah an den Wählern.

Doch reicht das? Die Grünen wollen deutlich zweistellig werden. Und dritte Kraft im Bundestag. Vor der Linken, AfD und FDP. Und dann nach zwölf Jahren Opposition wieder in die Regierung kommen. „Im Kampf um Platz drei geht es um die Frage, was für ein Gesicht Deutschland hat – ein menschliches und weltoffenes“, der „Zukunft zugewandtes oder eben nicht“, sagt Özdemir dieser Zeitung.

Auf dem Weg dahin steht mit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai eine harte Prüfung an. Die Grünen, Regierungspartei an Rhein und Ruhr, liegen bei sechs Prozent. Und blicken ängstlich auf die Fünf-Prozent-Hürde. Jetzt starten sie eine Zweitstimmenkampagne, die auf viele Wähler wie blanke Panik wirken könnte. In Schleswig-Holstein, wo schon am 7. Mai gewählt wird, sieht es hingegen viel besser aus. Da liegen die Grünen bei zwölf Prozent – auch dank des im Norden beliebten Umweltministers Robert Habeck, der Özdemir bei der grünen Urwahl zum Spitzenkandidaten nur knapp unterlag.

Habeck hofft, dass Schleswig-Holstein der Wendepunkt für seine Partei wird. „Wenn wir hier ein gutes zweistelliges Ergebnis holen, werden wir in NRW stärker als bisher angenommen und kommen dort wieder an die Regierung“, sagt Habeck dieser Zeitung. Und dann sei die Geschichte „Die Grünen sind durch“ weg. „Wir im Norden sind die Räuberleiter“, sagt Habeck.

Doch es ist ungewiss, ob diese Strategie aufgeht. Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts Forsa, glaubt nicht daran. „Das wird so nicht funktionieren“, sagt Güllner. „In Nordrhein-Westfalen sind die Wähler mit vielem unzufrieden, für das die Grünen verantwortlich sind, vor allem mit der Schul- und Infrastrukturpolitik. Das ändert sich doch nicht, wenn Habeck im Norden ein gutes Ergebnis holt“, sagt er.

Nach der Schleswig-Holstein-Wahl droht eine Personaldiskussion. Nach dem Motto: War es richtig, Özdemir zum Spitzenkandidaten zu wählen? Wäre nicht Habeck der bessere Mann gewesen? Hat der Wähler nicht Lust auf ein neues Gesicht? Hätte es einen Habeck-Effekt gegeben – also so etwas wie den Schulz-Effekt für die SPD? Güllner glaubt da nicht dran. „Das ist nur Spekulation“, sagt er. Özdemir sei in der Bevölkerung ja beliebt. „Die Schwäche der Grünen hat wenig mit Personen zu tun.“

Der Forsa-Chef sieht ein anderes Problem – es fehle den Grünen an Nachwuchs bei den Wählern: „Früher haben die jungen Menschen die Grünen gewählt“, sagt Güllner. „Drei Viertel der Wähler waren unter 30 Jahren.“ Heute seien die Grünen-Wähler zwischen 50 und 60 Jahre alt. „Mein Enkelin würde sagen: Die Grünen sind etwas für alte Leute.“

Auch andere Demoskopen sehen schwarz für die Grünen. Vor Kurzem analysierte das Allensbach-Institut, dass die Öko-Partei nicht mehr „hip“ sei. Begründet wird das so: 2010 lagen die Grünen in Umfragen bei 18 Prozent – fast 60 Prozent der Wähler hielten sie für „in“. Heute sind nur 13 Prozent dieser Meinung.

Doch Özdemir will kämpfen. „Wir stehen in den Umfragen nicht gut da, aber die Antwort kann ja nicht sein, jetzt fünf Monate vor dem Wahltag zu verzagen“, sagt er. „Wir gehen raus mit unseren Argumenten und Zielen und kämpfen für ein gutes Ergebnis.“ Es sei noch alles drin.