Berlin.

Das Superwahljahr ist sein erstes Amtsjahr als Präsident des Industrieverbands BDI. Im Interview skizziert Dieter Kempf, welche Hürden er für deutsche Unternehmen sieht.

Herr Kempf, mit Donald Trump sind viele Befürchtungen verbunden. Wie gefährlich ist der neue US-Präsident für die deutsche Wirtschaft?

Dieter Kempf: Trump sieht sich selbst als Mann der Deals – uns in der Wirtschaft wäre Berechenbarkeit lieber. In seinen Dekreten und Twitter-Botschaften lässt er im Unklaren, was genau passieren soll. Er pokert mit angedrohten Strafzöllen und Einreiseverboten, statt die Karten auf den Tisch zu legen. Das verunsichert die Wirtschaft. Für Investitionen gibt es kein schlimmeres Gift als Ungewissheit. Abschottung und das Ziel, zuallererst US-Produkte zu kaufen und Amerikaner anzuheuern, schaden auch den USA selbst. Schließlich sind sie auf Partner angewiesen – ob aus Europa oder aus Kanada und Mexiko – und profitieren auch von Technologie und Know-how aus dem Ausland.

Wenn Trump tatsächlich deutsche Produkte mit Strafzöllen belegt – wie soll die Bundesregierung reagieren?

Eskalation würde nichts bringen, ich setze auf das Gespräch. Deshalb war ich gerade erst in Washington, wo ich auf offene Ohren gestoßen bin. BMW beispielsweise exportiert aus den USA, was den Wert angeht, mehr als jeder amerikanische Wettbewerber. Deutsche Unternehmen beschäftigen fast 700.000 Menschen in den Vereinigten Staaten und sind drittgrößter ausländischer Arbeitgeber im Land. Das sollte Trump zur Kenntnis nehmen.

Die USA sind nicht die Einzigen, die sich an den hohen deutschen Exportüberschüssen stören. Können Sie diese Haltung, die auch vom Internationalen Währungsfonds geteilt wird, gar nicht verstehen?

Ein Handelsüberschuss ist ebenso wenig ein Sieg wie ein Handelsdefizit eine Niederlage. Der Welthandel ist kein Nullsummenspiel, bei dem der eine alles gewinnt und der andere alles verliert. Grenzüberschreitender Handel bringt gegenseitigen Nutzen, Protektionismus schadet allen. Viele Staaten leben übrigens sehr gut damit, bestimmte Dinge zu importieren, statt sie selbst zu produzieren.

Sie meinen, die Kritiker denken einfach zu schlicht?

Diejenigen, die den deutschen Handelsüberschuss kritisieren, denken eher in Wahlkampfparolen und vernachlässigen die wirtschaftliche Analyse. Auch wir vom BDI fordern von der Bundesregierung, etwas zu tun. Zum einen muss sie das Investitionsklima im Inland verbessern – etwa durch eine steuerliche Forschungsförderung. Zum anderen sollte sie die staatlichen Investitionen erhöhen – zum Beispiel in die digitale Breitbandinfrastruktur.

Die USA legen es auf Handelskriege an, Großbritannien will die EU verlassen, Frankreich könnte folgen – wenn die Rechtsextremistin Marine Le Pen am Sonntag die erste Runde der Wahl gewinnt. Muss sich Deutschland neue Partner suchen?

Europa ist und bleibt unser Heimatmarkt. Und wir Europäer brauchen eine verlässliche transatlantische Partnerschaft – politisch wie wirtschaftlich. Aber kein Unternehmen sollte alle Eier in einen Korb legen. Es gibt Alternativen, sei es in Asien oder auch Mittel- und Osteuropa.

Die nationalistischen, antieuropäischen Tendenzen, die sich in Osteuropa verstärken, sehen Sie nicht als Hindernis?

Von der EU profitieren die Menschen in ganz Europa. Gerade unsere mittel- und osteuropäischen Wirtschaftspartner entwickeln sich unter europäischen Vorzeichen hervorragend. Keiner kann alleine im internationalen Wettbewerb bestehen. Ein Rückzug ins nationale Schneckenhaus ist der falsche Weg – auch in Polen und Ungarn.

Ihre Prognose, bitte: Wie werden sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland entwickeln?

Wir bleiben bei unserer Vorhersage: Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr um 1,5 Prozent wachsen. Damit entstehen in unserem Land rund 500.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Das ist aber kein Grund, sich zurückzulehnen. Wir profitieren von einem derzeit günstigen Euro-Kurs, historisch niedrigen Zinsen und günstigen Ölpreisen. Wenn diese Faktoren nicht mehr wirken, kann unser Konjunktur-Kartenhaus in sich zusammenfallen. Doch die Politik verteilt lieber, als dass sie investiert.

Hat sich die große Koalition in den vergangenen vier Jahren für eine weitere Amtszeit empfohlen?

Ich vermisse in der großen Koalition den Blick nach vorn. Wer auch immer ab September am Ruder sitzt: Investitionen zu fördern und unsere Wirtschaft bei der digitalen Transformation zu unterstützen – das muss das vorrangige Ziel dieser Regierung werden. Für Gift halte ich die Forderung der Grünen, die Vermögensteuer wieder einzuführen. Der Wohlstand in Deutschland stützt sich auf familiengeführte, mittelständische Unternehmen. Wenn sie die Lust verlieren zu investieren – dann gute Nacht! Das würde unsere Wirtschaftsleistung ganz enorm beeinträchtigen. Auch der SPD-Kanzlerkandidat setzt mit seinen arbeitsmarktpolitischen Vorschlägen den falschen Fokus.

Was ist falsch daran, auf mehr Gerechtigkeit zu setzen?

Es ist falsch, die Arbeits- und Sozialpolitik in erster Linie an den Älteren auszurichten. Was uns in Deutschland vor allem beschäftigen muss, ist die junge Generation. Davon dürfen wir keinen verlieren. In Berlin beispielsweise entlassen wir rund acht Prozent der Schüler ohne Abschluss in die Welt. Eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I löst dieses Problem nicht. Die Politik muss massiv in Bildung investieren.

Bleibt da Spielraum für Steuersenkungen?

Über den Spitzensteuersatz brauchen wir nicht zu streiten. Schwierig wird es bei der kalten Steuerprogression. Den sogenannten Mittelstandsbauch abzuflachen, würde aber 20 bis 30 Milliarden Euro kosten. Eine Steuerentlastung, die Milliarden kostet, führt beim Einzelnen häufig nur zu Cent-Entlastungen. Das wahre Problem ist die Sozialversicherung. Die Bürger zahlen hohe Beiträge bei gleichzeitig steigenden Überschüssen in den Sozialkassen. Daher ist meine Forderung klar: Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge, wo immer möglich.

Die deutsche Industrie verlangt keine Reduzierung der Steuern?

Genau – wichtiger fürs Wachstum von morgen sind Investitionen und Steuerstrukturreformen insbesondere für Unternehmen. Da muss die nächste Regierung ran. Das muss finanzierbar sein. In Dänemark etwa wurde das Steuersystem durch Typisierungen und Pauschalierungen deutlich vereinfacht. Zum Beispiel könnten wir einen höheren Werbungskosten-Pauschbetrag ansetzen statt Belege für jedes Fitzelchen. Dann würde sich auch die Diskussion um das von den Deutschen so wahnsinnig geliebte Kilometergeld erübrigen.