Berlin/Dortmund.

Das Bombenattentat auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund stellt die Sicherheitsbehörden vor Rätsel. Wiewohl in alle Richtungen ermittelt wird, rückt – nach den Islamisten – zunehmend die rechte Szene in den Fokus. Beim Bundesligaspiel heute in Dortmund will die Polizei demonstrativ Präsenz zeigen. Im Stadion werden die Beamten mit Schutzwesten und Maschinenpistolen patrouillieren. Vermutlich reisten auch die beiden Teams von Dortmund und Eintracht Frankfurt nie zuvor so gut bewacht zu einem Spiel an.

Die Maßnahmen haben viel mit Psychologie zu tun, dienen dem Sicherheitsgefühl. Sie bedeuten nicht, dass es Hinweise auf eine Gefährdung gäbe. Bezeichnend ist, dass die Bundespolizei anders als beim Fußballspiel am vergangenen Mittwoch – einen Tag nach dem Anschlag – ihre Antiterroreinheit BFEplus nicht in Alarmbereitschaft versetzt hat. Das klassische Hochrisikospiel findet an diesem Wochenende vielmehr in der zweiten Liga in Hannover statt. Beim Derby gegen Braunschweig liegt immer Gewalt in der Luft, nicht wegen Terroristen, sondern wegen Hooligans.

Die erste heiße Spur ist inzwischen etwas erkaltet

Beim Bundeskriminalamt gilt für die Ermittler eine Urlaubssperre. Die erste heiße Spur führte in die Szene der Islamisten. Sie ist freilich ziemlich erkaltet. Zum einen sind die am Tatort gefundenen drei Bekennerschreiben in vielen Details untypisch für den „Islamischen Staat“ (IS) und wenig authentisch. Auch drei Tage danach hat sich das Terrornetzwerk nicht auf den üblichen Kommunikationskanälen zur Tat bekannt. Zum anderen hat sich der Verdacht gegen zwei am Mittwoch vernommene Männer nicht erhärtet. Bei ihnen fehlte ein Bezug zu Dortmund. Gegen einen von ihnen wurde Haftbefehl erlassen, allerdings wegen Verdachts auf Mitgliedschaft im IS. Der 26 Jahre alte Mann aus dem Irak soll eine IS-Einheit angeführt haben, die Entführungen, Verschleppungen, Erpressungen und Tötungen vorbereitet habe. Eine militärische Ausbildung, Erfahrungen mit dem Töten – das würde vieles erklären.

Die Behörden suchen jedenfalls nach „mordbereiten Tätern“, so der NRW-Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann. Überdies zeigte die Untersuchung von Sprengstoff und Zündmechanismus, dass die Bomben sehr professionell gebaut waren. „Die Sprengkraft war enorm“, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), die Geschosse schlugen auch in benachbarte Wohnhäuser selbst in 20 bis 30 Meter Entfernung ein. Der Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, sagte in Düsseldorf, es werde in alle Richtungen ermittelt, neben Islamisten auch Links- und Rechtsextremisten. Die Bekennerschreiben könnten eine falsche Fährte sein, gelegt beispielsweise von Rechtsradikalen. Seit Hooligans im Februar beim Spiel in Dortmund gegen RB Leipzig Fans der Gästemannschaft attackierten, geht der Verein kompromissloser denn je gegen sie vor. War der BVB nun Opfer einer Racheaktion? Dagegen spricht, dass auch Hooligans und Rechtsradikale BVB-Fans sind und die Identifikation mit der Mannschaft ziemlich groß ist. Was Ermittler stutzig macht, sind die Formulierungen im Bekennerschreiben, etwa die Forderungen nach Schließung der Airbase in Rammstein und nach dem Abzug deutscher Tornados aus Syrien. Das passt nicht nur zum IS, sondern auch zur rechten Szene, etwa zum Leipziger Pegida-Ableger Legida. So tauchte am Donnerstagabend noch ein weiteres Bekennerschreiben auf. Die Mail mit rechtsextremistischem Duktus ging beim Berliner „Tagesspiegel“ ein. Das Schreiben wird nun von der Bundesanwaltschaft (GBA) in Karlsruhe auf seine Echtheit überprüft. GBA-Sprecherin Frauke Köhler bestätigte am späten Freitagabend, ihre Behörde habe das Schreiben von der Zeitung erhalten. Eine Bewertung wollte sie nicht abgeben. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen wird ausdrücklich die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel kritisiert.

NRW-Innenminister Jäger steht unter großem Druck

Die Motivforschung ist spekulativ, die praktischen Folgen des Anschlags sind es nicht. In einer Telefonkonferenz mit der Polizei kündigte Minister Jäger zusätzliche Maßnahmen zum Schutz von Großereignissen an. Die Polizei allein werde nicht reichen, auch die Vereine müssten sich fragen, ob sie mehr private Sicherheitsdienste einbeziehen, gab der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, zu bedenken. „Wir sollten schauen, wo wir etwas ändern können, vielleicht durch eine andere Begleitung der Busse am Spielort oder eine Änderung der Fahrtstrecken.“

Plickert ist überzeugt, „mit solchen Anschlägen muss man auch in anderen Städten rechnen“. Das muss vor allem Minister Jäger beunruhigen, der politisch unter großem Druck steht, obwohl die Ermittlungen nicht vom Land, sondern vom Generalbundesanwalt geleitet werden. Allein aus NRW kommen fünf Erstligavereine, und in der Landeshauptstadt Düsseldorf stehen in den nächsten Wochen drei sportliche Großveranstaltungen an, die Tischtennis-WM, die Triathlon-EM und eine Etappe der Tour de France.