Kairo/Berlin.

Die brutalen Bilder aus Nordsyrien schockieren die Welt. Bei einem Giftgas-Angriff in der Stadt Khan Sheikhun am Dienstag wurden nach Schätzungen von Aktivisten mindestens 100 Menschen getötet. Die Regierungen im Westen beschuldigen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Der Machthaber in Damaskus bestreitet die Attacke. Seine Schutzmacht Russland behauptet, die syrische Luftwaffe habe ein Munitionslager bombardiert, in dem islamistische Rebellen Chemiewaffen produzierten. Syrien wird wieder einmal zum Streitpunkt der Mächte. Wer verfolgt in der Region welche Interessen?


USA:
Binnen nicht einmal einer Woche hat die US-Regierung von Donald Trump in der Syrien-Frage eine 180-Grad-Wende vollzogen. Nach dem aus US-Sicht allein der syrischen Regierung anzulastenden Giftgas-Angriff arbeitet Washington auf den Abgang von Baschar-al-Assad hin. Trump nannte den Machthaber gestern eine „Schande für die Menschheit“. Außenminister Rex Tillerson, der noch am Wochenende betonte, die Zukunft Assads sei ausschließlich von den Syrern zu entscheiden, verkündete gestern vor der Visite des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Florida die neue Marschrichtung: Assad müsse im Zuge eines internationalen politisch begleiteten Prozesses aus der Regierungsverantwortung gebracht werden. Die ersten Schritte dazu seien bereits „auf den Weg gebracht“, sagte Tillerson. Assad werde keine „Rolle“ mehr spielen bei der Führung des syrischen Volkes. Zeitpunkte nannte er nicht. Er bestätigte aber, dass Präsident Trump als Reaktion auf den Giftgaseinsatz in Khan Sheikhun einen Militärschlag gegen das syrische Regime erwägt. Die Tragödie erfordere eine „angemessene Antwort“.

Trump hatte am Donnerstags mehrere Kongressabgeordnete von seinen Überlegungen in Kenntnis gesetzt. Das Pentagon sei damit beauftragt worden, geeignete Optionen vorzulegen, sagte der republikanische Senator John McCain. Er forderte, kurzfristig die syrische Luftwaffe außer Gefecht zu setzen. Nach Berichten des TV-Sender NBC hatten US-Stellen beobachtet, wie Flugzeuge der syrischen Luftwaffe die offenbar mit dem Nervengift Sarin versetzten Bomben über der Stadt Khan Sheikhun abgeworfen hatte. Trump will dem Vernehmen nach vor einer endgültigen Entscheidung über einen Militärschlag mit Russlands Präsident Wladimir Putin sprechen. Tillerson rief Moskau auf, die Unterstützung für den syrischen Machthaber Assad zu „überdenken“. Der Sinneswandel im Weißen Haus hatte sich bereits am Mittwoch angedeutet. Bei einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah sagte Trump, dass mit dem Giftgasangriff für ihn „eine Menge Linien“ überschritten worden seien.

Russland: Politik und Medien in Russland hatten Trump lange mit Samthandschuhen angefasst. Offiziell hat der Kreml noch nicht auf die Empörung des US-Präsidenten nach dem Giftgas-Angriff in Syrien reagiert. Der russische Präsident Wladimir Putin hänge zwar nicht an der Person Assad, heißt es in Moskau. Aber Putin sieht sich als Hüter der Stabilität in Nahost. Der Irak und Libyen sind für ihn Albtraumszenarien: Ein Auseinanderfallen von Staaten durch Militär-Interventionen von außen will er mit allen Mitteln vermeiden. Deshalb wehrt er sich gegen eine Änderung des Status quo in Syrien und hält an Assad fest. Zudem betrachtet er das Land als wichtigen Anker zur Errichtung einer festen strategischen Machtbastion. Die Grausamkeiten, die das Assad-Regime im Bürgerkrieg begeht, können Putin nicht recht sein. Dies lässt Zweifel offen, wie viel Einfluss der Kreml auf das syrische Regime überhaupt hat.


Syrien:
Das Regime in Damaskus gibt sich unbeugsam. Assad hat immer wieder signalisiert, dass er unter allen Umständen an der Macht bleiben will. Er werde jeden Quadratzentimeter seines Landes zurückerobern, kündigte er in einem Interview an. Die Passivität des früheren US-Präsidenten Obama und die massive Unterstützung durch die Schutzmacht Russland haben ihn ermutigt. Er schreckt auch vor brutalen Bombenangriffen wie im Fall von Aleppo nicht zurück. Assad fühlt sich heute als Sieger. Sein Machterhalt scheint nicht mehr in Gefahr.

Iran: Das schiitische Mullah-Regime hat in Syrien klare machtstrategische Interessen: Teheran will eine Achse nach Bagdad und Damaskus bilden. Beide Länder haben schiitische Regierungen an der Spitze. Zudem unterstützt der Iran die Hisbollah im Libanon – ebenfalls muslimische Glaubensbrüder. Teheran befeuert den Krieg in Syrien durch die Entsendung von Soldaten sowie die Überweisung von Geld und die Lieferung von Öl. So kämpfen sowohl iranische Revolutionsgarden als auch schiitische Milizen an der Seite der Assad-Truppen. Mit diesem schiitischen Herrschaftsraum will der Iran ein Gegengewicht zu Saudi-Arabien bilden. Das Königreich begreift sich als Schutzmacht der Sunniten in der Region. Das Misstrauen gegen Teheran sitzt tief.

Türkei: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat eine bündnispolitische Achterbahnfahrt wie kaum ein anderer hingelegt. Lange Jahre war er mit Assad befreundet. Nach Ausbruch des Arabischen Frühlings und dem Aufflammen des syrischen Bürgerkriegs 2011 kühlte das Verhältnis schnell ab. Erdogan half islamischen Rebellen und wollte Assad aus dem Amt jagen. Im vergangenen Jahr intervenierten Erdogans Verbände im südlichen Nachbarland.

Zum einen, um die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zu bekämpfen, die zunehmend die Türkei mit Terroranschlägen überzog. Das überragende Ziel war aber, ein flächendeckendes kurdisches Autonomiegebiet in Nordsyrien zu verhindern. Die Kurden im eigenen Land sollten nicht ermutigt werden.

Europa: Die Europäische Union (EU) ist in der Syrienpolitik zerstritten. Es grassiert die Angst vor weiteren Flüchtlingswellen. In militärischer Hinsicht will sich der Alte Kontinent heraushalten. Stattdessen hat sich Brüssel darauf verlegt, die Kriegsgegner mit Milliarden für den Wiederaufbau des Landes zur Vernunft zu bringen.

Das Geld soll den Anreiz schaffen, ernsthaft in Genf zu verhandeln und sich auf eine Machtstruktur für eine Nachkriegszeit ohne Assad zu einigen. Doch damit hat dieser nichts im Sinn. Er lehnt das Milliarden-Angebot der Europäer ab. Und er kalkuliert, dass diese am Ende ohne Bedingungen zahlen. Seine Rechnung: Die EU will den Flüchtlingsdruck aus Syrien mindern und ihr Gewissen beruhigen.