Mexiko-Stadt. Weltweites Entsetzen über Kongress-Entmachtung in Venezuela. Ölreiches Land seit Jahren in Abwärtsspirale

Nach der handstreichartigen Entmachtung des Parlaments in Venezuela hat sich die ohnehin angespannte Situation zwischen Opposition und Regierung noch einmal dramatisch verschärft. Oppositionsführer Henrique Capriles sprach von einem Staatsstreich und forderte die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. „Wenn wir jetzt nichts tun, die Demokratie in Venezuela zu retten, dann droht morgen anderen Staaten der Region ein ähnliches Schicksal“, sagte Capriles bei einem Besuch in Kolumbien.

Vor dem Sitz des Obersten Gerichts in der Hauptstadt Caracas kam es zu Tumulten zwischen Gegnern der Regierung und der Polizei. Auch in anderen Teilen von Caracas demonstrierten Menschen spontan gegen die Entmachtung der Nationalversammlung. Es könnte sein, dass Präsident Nicolás Maduro dieses Mal einen Schritt zu weit gegangen ist in seinem Versuch, die Opposition auszubremsen und sich umfassende autoritäre Vollmachten anzueignen.

Auch in Lateinamerika rief die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, dem Parlament die Macht zu entziehen und sie auf sich selbst zu übertragen, einhellige Ablehnung hervor. Die Regierungen von Mexiko bis Argentinien kritisierten den Schritt, der faktisch der Abschaffung der Gewaltenteilung gleichkommt. Peru reagierte am deutlichsten und zog seinen Botschafter aus Caracas ab. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erklärte, das Urteil des Obersten Gerichts sei der „letzte Schlag gegen die Demokratie“ in Venezuela. OAS-Generalsekretär Luis Almagro, ohnehin ein harscher Kritiker von Präsident Maduro, sprach von einem „Selbst-Putsch“ des venezolanischen Staatschefs. „Es geht um die Frage von Freiheit oder Despotismus.“ Auch die Europäische Union bezog Stellung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ließ mitteilen, die EU fordere „vollen Respekt für die Verfassung, demokratische Prinzipien, den Rechtsstaat und eine Trennung der Gewalten.“

Seit der Machtübernahme nach dem Tod seines Mentors und Vorgängers Hugo Chávez im März 2013 baut Maduro zunehmend die demokratischen Freiheiten in dem südamerikanischen Land ab. Oppositionspolitiker werden verfolgt und eingesperrt, ein in der Verfassung vorgeschriebenes Referendum zur Abwahl des Präsidenten hat Maduro bisher unter Beugung der Verfassung zu verhindern gewusst. Er würde die Volksbefragung krachend verlieren. Der Oberste Wahlrat und die Corte Suprema (Oberstes Gericht) sind bereits seit Jahren gleichgeschaltet. Nur die Nationalversammlung (AN) ist in Händen der Opposition, wird aber seit langer Zeit schon ausgehebelt. Maduro regiert praktisch per Dekret.

Zu der explosiven politischen Situation kommt eine seit zwei Jahren andauernde Versorgungskrise. Viele Nahrungsmittel, Medikamente und Artikel des persönlichen Bedarfs sind kaum zu bekommen. Menschen hungern und suchen auf den Großmärkten im Abfall nach Essbarem. In den vergangenen Tagen ging dem Land mit den größten Ölreserven der Welt auch noch das Benzin aus, weil die Raffinerien nicht genügend Sprit produzieren könnten.