Brüssel/Berlin.

Mehr deutsches Geld für Europa? Das Plädoyer von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD), Deutschland solle höhere Summen in den EU-Haushalt einzahlen, hat in der Koalition eine heftige Debatte ausgelöst. Mit der SPD würde „dem Schuldenmachen in Europa Tür und Tor geöffnet“, sagte etwa CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt dieser Zeitung. Der Bund der Steuerzahler warnte ebenfalls vor einem „Alleingang zulasten Deutschlands“.

Gabriel hatte in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am Mittwoch erklärt, die Bundesrepublik sei zwar der größte Nettozahler, aber auch der größte Nettogewinner der EU. „Jeder Euro, den wir für den EU-Haushalt zur Verfügung stellen, kommt – direkt oder indirekt – mehrfach zu uns zurück“, schrieb der SPD-Politiker. Statt für geringere Zahlungen zu streiten, könnte Deutschland sogar anbieten, mehr zu zahlen. Ein Aufreger: Die Forderung läuft wohl den Instinkten vieler Steuerzahler zuwider.

Aktuell ist Gabriels Vorstoß aus zwei Gründen. Zum einen ist 2017 in der EU kein Haushaltsjahr wie jedes andere. Der Blick geht über die normale Etataufstellung für die nächsten zwölf Monate hinaus. Nach der Halbzeit-Überprüfung des Finanzrahmens 2014–2020 laufen bereits die Vorüberlegungen für die nächste Etappe an. Die Gestaltung des EU-Haushalts (federführend in Brüssel ist der deutsche Kommissar Günther Oettinger) ist ein politisches Reizthema: Wie groß ist das Loch, das der Nettozahler Großbritannien hinterlässt, wer muss es füllen? Und wie soll sich die EU künftig finanzieren?

Als Erstes stellt sich die Brexit-Frage. Großbritannien ist in absoluten Zahlen nach der Bundesrepublik zweitgrößter Nettozahler der EU. Nach Zahlen der EU-Kommission überwies der Schatzkanzler Ihrer Majestät 2015 rund 11,5 Milliarden Euro mehr an die EU-Kasse, als von dort an Rückflüssen auf der Insel landete. Für Deutschland betrug der Fehlbetrag nach dieser Statistik 14,3 Milliarden Euro. Die Zahlen schwanken indes stark, von Jahr zu Jahr, aber auch wegen unterschiedlicher Berechnungsmethoden. Oettingers Stab kalkuliert mit einem Brexit-Loch von rund neun Milliarden Euro. Das würden die Haupt-„Empfängerländer“ – Polen, Tschechien, Rumänien, Griechenland – gern komplett ausgeglichen sehen. Mit den großen Zahlerländern, zu denen neben den Deutschen die Franzosen, Niederländer und Schweden zählen, ist das nicht zu machen. Oettinger steuert eine mittlere Linie an: Teilausgleich des Briten-Mankos, aber nur bei nachweisbarem europäischen Mehrwert – etwa für Außengrenzschutz oder für Entwicklungshilfe in den Flüchtlings-Herkunftsländern. Da könnten – moderate – Mehrausgaben anstehen, die sich unabhängig von Gabriels Vorstoß ergeben.

Doch in der Union hält man es für falsch, die Debatte auf diese Weise zu eröffnen. „Sigmar Gabriel offenbart sehr anschaulich, wohin die Reise in Europa mit der SPD gehen würde“, sagte die CSU-Politikerin Hasselfeldt. Sinnvolle Haushaltsregeln wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt würden endgültig der Vergangenheit angehören und dem Schuldenmachen Tür und Tor geöffnet – statt mit Strukturreformen in den einzelnen Mitgliedsländern für Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. „Die SPD kennt nur eine Reaktion auf jegliches Problem: Geld auszugeben. Egal, ob nötig oder sinnvoll, die deutschen Steuerzahler sollen ran.“ Auch Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus sagte dieser Zeitung: „Es ist der falsche Weg, Europa ungefragt mehr Geld anzubieten.“ Statt nach immer mehr Mitteln zu rufen, sollte eine bessere und effektivere Verwendung der zur Verfügung stehenden Gelder im Fokus stehen.

Der Bund der Steuerzahler nannte es „fatal, ständig mit Spendierhosen herumzulaufen“. Der Beitrag Deutschlands zum EU-Haushalt sei fest definiert, sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel. Solange die finanziellen Folgen des Brexits auf die EU-Finanzen nicht klar seien und die Ausgabenstruktur des EU-Haushalts nicht reformiert werde, „verbietet sich jeder einseitige Alleingang zulasten Deutschlands“. Freiwillige Zusatzzahlungen erzeugten nur einen schnellen Gewöhnungseffekt bei den Netto-Empfängern. Im EU-Parlament wird indes eine andere Lösung diskutiert – die Einführung einer „EU-Steuer“. Wenn die EU mehr Einnahmen hätte, glaubt SPD-Chefhaushälter Jens Geier, ließe sich der ewige Streit um die Lastenverteilung beenden.