Essen.

Äußerlich gefasst nahmen die drei jugendlichen Tempelbomber am Dienstag das Urteil der Essener Jugendstrafkammer für den hinterhältigen Sprengstoffanschlag auf das Gebetshaus der Essener Sikh-Gemeinde auf, bei dem drei Menschen verletzt wurden. Sie sind zu Haftstrafen zwischen sechs und sieben Jahren verurteilt worden. Wenig Regung sollen sie auch gezeigt haben, als Richter Volker Uhlenbrock ihnen vorwarf, sie hätten herumlaviert, kein offenes Geständnis abgelegt. Sie hatten nämlich jede Tötungsabsicht verneint. Das Gericht nahm ihnen das nicht ab, sprach auch vom „Hass auf andere Religionen“ als Motiv des versuchten Mordes.

Auf offene Worte gehofft hatte im nicht öffentlich geführten Prozess vor allem der 62 Jahre alte Priester der Sikh-Gemeinde. Als der in einem Feuerlöscher installierte Sprengsatz am 16. April 2016 gegen 19 Uhr per Fernzündung detonierte und Metallteile durch die Luft flogen, zerfetzte es ihm das Bein. Seitdem geht er an Krücken. Er hat seinen Beruf in Deutschland verloren, erzählt sein Anwalt Jan Czopka, weil er den dafür erforderlichen Lotussitz nicht mehr beherrsche. So muss er zurück in seine Heimat Indien. Dennoch, so Czopka, habe er den Angeklagten vergeben: „Sie tun ihm leid. Er glaubt, dass in ihrer Entwicklung viel schiefgegangen ist.“ Aber Antworten auf seine vielen Fragen habe auch er nicht erhalten.

Drei im Ruhrgebiet aufgewachsene junge Männer, mittlerweile alle 17, sind es, die sich im Jahre 2015 gegenseitig radikalisieren, sich als unterdrückte Kämpfer für den Islam sehen und „Ungläubige“ töten wollen. Das Radikalisieren geht bequem per Internet, per Whatsapp. Sie suchen Kontakt zur Islamistenszene in Niedersachsen, in Duisburg, beteiligten sich unter anderem an Koran-Verteilaktionen in Fußgängerzonen – und bleiben letztlich doch isoliert. Diese Kindertruppe, deren Mitglieder sogar heiraten und selbst Ehen schließen, gilt als unkontrollierbar, erzählt ein V-Mann im Prozess. Das Material für die Sprengsätze bestellen sie im Internet – bei Versandhändlern wie Amazon.

Es sind unterschiedliche Typen. Der Gelsenkirchener Yusuf T. ist der Kopf. Ein V-Mann beschrieb ihn als blutgierig. Er hatte die Bombe nach Überzeugung der Richter vor der Tür platziert und erhielt sieben Jahre Jugendhaft. Mohamad B. aus Essen ist der Gefolgsmann, eher schlichten Gemütes, aber recht gut in der technischen Unterstützung. Er wurde zu sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Gericht wertet die Tat der beiden als versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung.

Anwältin nennt Strafe für Mandanten „extrem hoch“

Der dritte Jugendliche Tolgan I. aus Schermbeck bei Essen wurde wegen Verabredung zum Mord zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Er soll sich im Prozess kaum distanziert haben vom Islam und seinen brandgefährlichen Gedanken. Er soll den Sikh-Tempel als Anschlagsziel ausgesucht haben. Später, so erzählte ein weiterer V-Mann, soll er mit der Idee geliebäugelt haben, die Essener Rathaus-Galerie, ein Einkaufszentrum, in die Luft zu jagen. Ihm ist aber am wenigsten nachzuweisen, deshalb erhält er die geringste Strafe. Das Gericht hörte rund 50 Zeugen und Sachverständige.

Aufgefallen waren die drei Attentäter schon zuvor alle, weil sie aufsässig in der Schule waren, Frauen, Mitschülerinnen Gewalt androhten und sie beleidigten. Ihre Eltern sorgten sich zum Teil so um sie, dass sie die Behörden eingeschaltet hatten. Vergeblich. Für Aussteigerprogramme waren die Jugendlichen nicht mehr zu erreichen.

„Die Angeklagten haben sich selbst verstanden als gläubige Muslime und in ihrer Vorstellungswelt die Vorstellung gebildet, dass sie jetzt nun Ungläubige angreifen und möglicherweise sogar töten müssen“, sagt Gerichtssprecher Johannes Hidding. Einen direkten Kontakt zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ konnte das Gericht nicht entdecken. Die Angeklagten hätten aber durchaus Kontakt zu einem Syrien-Rückkehrer gehabt. Dieser habe seinerseits möglicherweise Kontakte zu Terroristen in Syrien oder im Nahen Osten.

Yusuf T., der die Bombe vor die Tür gelegt hatte, will nun Revision gegen das Urteil einlegen, kündigt seine Anwältin Lena Plato an. Die Strafe für ihren Mandanten nannte sie „extrem hoch“ für einen 17-Jährigen. „Es ist kontraproduktiv, einen Jugendlichen länger als fünf Jahre wegzusperren.“ Das Jugendstrafrecht sieht eine Höchststrafe von zehn Jahren Haft vor.

Ob das Urteil die drei Attentäter jetzt erreichen und zum Nachdenken bringen wird? Der Sikh-Priester findet den Richterspruch gerecht. „Er ist froh darüber. Auch, dass jetzt alles vorbei ist“, sagt sein Anwalt Jan Czopka nach 25 Verhandlungstagen.