BerLin. Ex-Außenminister Joschka Fischer stellt in Berlin das Buch „Hoffnungsland“ von Olaf Scholz vor – und findet es unwichtig, wer Kanzler wird

Einen Moment muss Joschka Fischer überlegen. Ob er nicht doch lieber Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidat gesehen hätte? Der frühere Außenminister macht ein bedeutungsvolles Gesicht, dann sagt er diplomatisch: „Da bin ich wunschfrei.“ Mit Blick auf die Umfragen, die für die SPD mit Kanzlerkandidat Martin Schulz nach oben geschossen sind, schiebt Fischer aber doch hinterher: „Die SPD hat offensichtlich nicht falsch entschieden.“

Das findet dann auch der Erste Bürgermeister, der neben dem Grünen sitzt: Er sei „sehr glücklich“ über die Entwicklung in der SPD, erklärt Scholz, ohne auf mögliche eigene Ambitionen einzugehen. Und auch ohne Martin Schulz überhaupt zu erwähnen. Er habe schon früh gesagt, die SPD habe das Potenzial, um zehn Prozentpunkte zuzulegen, erinnert Scholz stattdessen. Genau das sei in den Umfragen jetzt passiert, er fühle sich „sehr bestätigt.“

Richtig ernst wird es, wenn beide über Europa sprechen

Eigentlich soll es bei diesem Termin beim Börsenverein in Berlin ja um etwas anderes gehen, aber Scholz holt die K-Debatte immer wieder ein. Gekommen sind die beiden, um das neue Buch „Hoffnungsland“ vorzustellen, in dem Scholz ein bemerkenswert optimistisches Bild von der Zukunft Deutschlands zeichnet und für „selbstbewusste Zuversicht“ plädiert. Was einst für viele die USA gewesen seien, sei heute für zahlreiche Menschen aus aller Welt die Bundesrepublik geworden.

Doch das könne nur so bleiben, wenn die Deutschen auch selbst ihr Land als Hoffnungsland begriffen, wenn die Weichen richtig gestellt würden – wozu ein robuster Sozialstaat gehöre mit Bildungschancen für alle, eine geregelte Flüchtlingspolitik einschließlich konsequenter Abschiebungen und die kluge Steuerung von Arbeitsmigration. Es gelte jetzt, dafür zu sorgen, dass nicht die „schlechte Laune“ der Populisten überhand nehme, fordert Scholz. Das gefällt Fischer außerordentlich, wie er überhaupt das Buch und seinen Autor überaus freundlich würdigt: Es sei gut, dass in der SPD die Theorie wieder Gewicht bekomme, sagt der Ex-Minister, der heute eine Unternehmensberatung in Berlin betreibt. Nur mit Alltagspragmatismus komme man nicht weit. Fischer mahnt, die Einwanderungsgesellschaft sei keine „sanfte Veranstaltung“, das habe Scholz richtig beschrieben. Der SPD-Vize verkörpere mit seinem Erstlingswerk „Pragmatismus auf einer klaren Wertegrundlage“.

Ist es die heraufziehende Altersmilde des 67-Jährigen oder die Müdigkeit nach dem Rückflug aus Abu Dhabi, die Fischer so durchweg wohlwollend formulieren lässt? Das Buch liefert ja durchaus Anlass zu Spekulationen. Der Verdacht, Scholz habe mit dem Ende Dezember beendeten Werk auch bundespolitische Ansprüche in der SPD markieren wollen, steht im Raum – hätte Martin Schulz vor der Kandidatenkür gekniffen, würde „Hoffnungsland“ jetzt als das Kursbuch des Kanzlerkandidaten Scholz reißenden Absatz finden.

Moderator Jörg Thadeusz piesackt den Autor bald mit der Frage, wie sich denn seine positive Beschreibung des „Hoffnungslands“ vertrage mit der Kritik des Kanzlerkandidaten Schulz, es gehe nicht gerecht zu in Deutschland? Scholz antwortet nur sehr allgemein, Gerechtigkeit sei immer ein Thema für demokratische Gesellschaften. Konkret fordert er eine Diskussion über die oft zu niedrigen Einkommen etwa von Geringqualifizierten.

Fischer geht gleich auf klare Distanz zum Gerechtigkeitswahlkampf: Wenn das Land nicht gerecht sein solle, die SPD aber so lange an der Regierung gewesen sei, dann könne ihre Regierungsbeteiligung wohl auch nicht helfen. Fischer verteidigt ausdrücklich die Agenda 2010, plädiert aber für eine „Nachsteuerung“ bei Niedriglöhnen. Dann überrascht der einstige Vizekanzler mit dem Bekenntnis, der Bundestagswahl ziemlich leidenschaftlos entgegenzusehen. Martin Schulz oder Angela Merkel? Egal. „Ich mache mir über die Kanzlerfrage ehrlich gesagt keine Gedanken“, erklärt er. „Natürlich, wenn es eine rot-grüne Perspektive gäbe, sähe das für mich als alter Rot-Grüner anders aus.“ Aber die gebe es ja nicht. In der entscheidenden Europapolitik sei es „kein großer Unterschied“, ob Schulz oder Merkel im Kanzleramt säßen. Das gelte aber nur, solange Schulz keine rot-rot-grüne Koalition anführe.

Nachdrücklich warnt Fischer vor Rot-Rot-Grün: „Weil das hieße, dass die Nationalisten von links in der Bundesregierung wären.“ Mit Blick auf die Russlandpolitik habe er da „keine guten Erwartungen“, und mit Linke-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht sei „nicht wirklich ein Staat zu machen“.

Aber richtig ernst wird es, wenn Scholz und Fischer über Europa sprechen. Fischer warnt vor einem Scheitern der EU, wenn in Frankreich die Rechtspopulistin Marine Le Pen die Wahlen gewinnen sollte. Dann wäre Deutschland erstmals seit 1945 allein. „Scheitert die EU, ist der Frieden in Europa bedroht.“ Aber Scholz ist Optimist: Die vielen Krisen könnten auch ein Katalysator für Europa sein, die Zusammenarbeit etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken.

So positiv blickt der 58-jährige Regierungschef dann auch auf sein Erstlingswerk: Die Arbeit an dem Buch sei eine Freude gewesen und sehr sinnstiftend. „Das hat mich weitergebracht.“ Auch der Verlag Hoffmann und Campe zeigt sich mehr als zufrieden mit der „wunderbaren Zusammenarbeit“. Der Autor habe sogar eine Woche vor dem vereinbarten Ende Dezember exakt die zugesagten 210 Manuskriptseiten abgeliefert, an denen nicht mehr viel gefeilt werden musste, berichtete Verleger Daniel Kampa. Er fügte hinzu: „Als Autor ist Olaf Scholz ein Traum.“