Berlin.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat es eilig, sich als ordnende Hand auf dem Arbeitsmarkt zu profilieren. Keine zwei Wochen ist es her, dass er auf einem SPD-Arbeitnehmerkongress ankündigte, er wolle Fehler der umstrittenen Agenda 2010 des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder korrigieren. Schulz berichtete von der Begegnung mit einem 50-Jährigen, der Angst vor Jobverlust und raschem Abstieg zum Hartz-IV-Bezieher hatte. Damit löste der Kanzlerkandidat prompt eine Debatte über die mögliche Rückabwicklung der Arbeitsmarktreformen aus.

Jetzt hat Schulz geliefert. Bereits an diesem Montag soll der SPD-Vorstand seinen konkreten Reformplan beschließen, der maßgeblich auf Konzepten von Arbeitsministerin Andreas Nahles (SPD) basiert. Mit dem dreiseitigen Papier, das dieser Zeitung vorliegt, macht Schulz allerdings klar: Er hat zwar ehrgeizige Reformvorstellungen, will für alle Arbeitnehmer und Arbeitslose ein Recht auf Weiterbildung einführen – die Agenda 2010 aber will auch er nur in einigen Details ändern. Das befristete Arbeitslosengeld I will Schulz keineswegs einfach ausdehnen – sondern begrenzt um Zeiten der Qualifizierung verlängern.

Die Idee: Arbeitslosen, die nicht innerhalb von drei Monaten eine neue Stelle finden, muss die Arbeitsagentur eine Qualifizierungsmaßnahme anbieten, die die Vermittlungschancen nachhaltig erhöht. Für die Dauer dieser Weiterbildung zahlt die Arbeitsagentur ein neues „Arbeitslosengeld Q“ in Höhe des regulären Arbeitslosengeldes I.

Findet sich danach nicht gleich ein Job, wird das ALG 1 weitergezahlt. Neu wäre nun, dass sich die Bezugsdauer des ALG I um die Zeit einer Weiterqualifizierung verlängern würde. Bisher wird die Weiterbildungsphase zur Hälfte auf die Bezugsdauer angerechnet.

Ein Beispiel: Ein 50-Jähriger hat bislang Anspruch auf 15 Monate Arbeitslosengeld I, bevor er zum Hartz-IV-Bezieher wird. Macht er nun nach zwei Monaten eine einjährige Qualifizierung, hätte er mit dem Schulz-Plan danach immer noch 13 Monate Anrecht auf das Arbeitslosengeld: Insgesamt bliebe er also 27 Monate im ALG-I-System. Die Bundesagentur fördert bislang Weiterbildungen bis zu zwei Jahren. Wer 58 Jahre und älter ist und seinen Job verliert, hätte mit einem ALG-Anspruch von 24 Monaten und der längstmöglichen Weiterbildungsdauer immerhin vier Jahre im ALG-System sicher. Allerdings sind die Qualifizierungsmaßnahmen in der Regel deutlich kürzer, meist nur einige Monate – ältere Arbeitnehmer würde der Plan wohl nur vorübergehend vor dem Wechsel zu Hartz IV schützen.

Doch die Frage, wie lange jemand Arbeitslosengeld von der Versicherung bezieht, ist in dem Reformkonzept von Schulz gar nicht der zentrale Punkt. Sein Ansatz geht, auf Anregung von Nahles, viel weiter: Die SPD will ein Recht auf Weiterbildung einführen. Die künftige „Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“ soll dazu stärker die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmern in den Blick nehmen, entsprechende Beratung in allen Phasen des Berufslebens bieten und frühzeitige Bildungsmaßnahmen auch vor dem Jobverlust fördern. „Heute ist das Schlüsselwort, egal wo in der Welt der Arbeit, Qualifizierung und Weiterbildung“, sagte Schulz am Sonnabend in Würzburg.

In dem Konzept heißt es, die Arbeitswelt 4.0 brauche eine neue Absicherung für Beschäftigte. Längere Phasen der Arbeitslosigkeit sollten so möglichst vermieden werden und die Zeit der Arbeitslosigkeit andererseits für Qualifizierung genutzt werden. Zu den Reformvorschlägen zählt aber auch, den Zugang zur Arbeitslosenversicherung zu erleichtern: Um ALG I beziehen zu können, wären nicht mehr zwölf Monate Versicherungszeit innerhalb von zwei Jahren notwendig, sondern zehn Monate in drei Jahren. Für Hartz-IV-Bezieher soll das Schonvermögen von 150 Euro auf 300 Euro pro Lebensjahr verdoppelt werden.

Die Opposition kritisierte die Pläne als unzureichend. „Es reicht nicht, das Arbeitslosengeld I zu verlängern“, sagte Linke-Chefin Katja Kipping dieser Zeitung. „Wir müssen die Agenda 2010 grundsätzlich überwinden.“ Sanktionen und Sperrzeiten bei Hartz IV seien eine „Angstmaschine und Modernisierungsbremse“. Kipping sagte: „Die Linke bietet Martin Schulz einen Solidarpakt gegen die Armut an.“ Die Union warf Schulz vor, er setze die falschen Prioritäten. Der DGB lobte die Vorschläge als richtigen Ansatz. Die Arbeitgeberverbände nannten das Konzept dagegen rückwärtsgewandt.