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Beschützt durch ein Großaufgebot von Polizisten hat der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders am Sonnabend die heiße Phase seines Wahlkampfes für die Parlamentswahl am 15. März eröffnet. Aber eigentlich muss er gar keinen Wahlkampf machen. Es reden sowieso alle über ihn: Wird der Anführer und einziges Mitglied der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit (PVV) ein kleiner Trump in einem in seine Einzelteile zerfallenden Europa? Der 53-Jährige führt bei den Meinungsforschern, schwimmt jubelnd mit auf der Erfolgswelle seines neuen amerikanischen Vorbilds. Nur wählen Deutschlands Nachbarn im Westen keinen Präsidenten, sie wählen ein Parlament. Und Ministerpräsident wird der Wahlsieger möglicherweise nicht.

Wilders aus den kleinen Niederlanden hätte Donald Trump nicht gebraucht, um ein Großer zu werden. Er führte schon lange vor ihm in allen Umfragen, aber er vergleicht sich selbst ganz gern mit ihm. „MakeTheNetherlandsGreatAgain“ twittert er nach Trumpschem Muster, applaudiert lautstark für den „Moslembann“ und lässt wissen: „Ich hoffe, selbst so ein Führer zu werden.“ Bei einem Treffen mit Frauke Petry von der AfD und Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen von der französischen Rechten inszenierte sich der Mann mit der Mozart-Mähne kürzlich einmal mehr als Europafeind und Islamverächter und beschwor einen „patriotischen Frühling“.

Parteienlandschaft der Niederlande ist zersplittert

Unter der Überschrift „Die Niederlande wieder unser“ verspricht die PVV: „Genug der Masseneinwanderung, von Asyl, Terror, Gewalt und Unsicherheit“ – in einem Land übrigens, das bislang noch keinen Anschlag erlebte. Wilders Elf-Punkte-Plan: „Statt die ganze Welt und Menschen, die wir hier nicht wollen, zu finanzieren, geben wir das Geld für den normalen Niederländer aus.“ Heißt: Grenzen dicht, Koran verbieten, Moscheen schließen, raus aus der EU.

Was die PVV will, passt auf eine einzige Seite, und auch sonst fasst sich der Parteichef und Fraktionsvorsitzende gerne trumpisch kurz: Seine Kampagne läuft fast ausschließlich über Twitter. Ein Tweet von ihm, und Medien, Politik, das demokratische Ausland, alles schreit auf. Geert Wilders auch, aber vor Freude: Mehr als 761.000 Menschen „folgen“ ihm im sozialen Netzwerk, die meisten sind Fans. „Normale Niederländer“, sagt Wilders gern, Studien zufolge weiße, oft ältere Bürger, eher wenig gebildet, aus den wirtschaftsschwachen Dörfern im Osten. Die schon lange nicht mehr an ihr liberales Land glauben, die sich für Verlierer der Globalisierung halten, die über Flüchtlinge und hohe Kriminalitätsraten klagen.

Bis zu 31 Sitze zählten die Demoskopen bei der letzten Sonntagsfrage, damit kratzt Wilders an der 20-Prozent-Marke. Das ist nicht viel, in der zersplitterten Parteienlandschaft der Niederlande aber mehr, als die Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) des amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte derzeit erreicht. Die käme auf maximal 26 Sitze; ihr Koalitionspartner, die sozialdemokratische Arbeitspartei PvdA bezahlt für die sozialen Kürzungen vergangener Jahre und kommt nur noch auf bis zu 15 Sitze. Insgesamt haben es 31 Parteien und Wählerbündnisse auf den Wahlzettel für den 15. März geschafft. Weil es eine echte Sperrklausel nicht gibt, könnten sich die 150 Sitze der „Zweiten Kammer“ auf mehr als 20 Parteien verteilen, die je nur 0,67 Prozent der Stimmen benötigen.

Abzusehen also, dass es für eine Regierung ohne Wilders mindestens drei Parteien braucht. Denn: Mit Wilders koalieren will zurzeit niemand, unter ihm als Regierungschef schon gar nicht. Mark Rutte, der sich schon einmal für zwei Jahre von der PVV tolerieren ließ, lehnte das zuletzt mehrfach kategorisch ab: „NULL Prozent“ Chance gebe er Wilders, twitterte er, der zuvor sechs Jahre keinen Tweet mehr abgesetzt hatte: „Es. Wird. Nicht. Passieren.“ Dabei stört sich Rutte nicht nur an den rechten Parolen seines Widersachers, sondern auch an den linken: Zweiter Punkt auf dessen Agenda ist eine Sozialpolitik, die höhere Renten, bessere und billigere Pflege, niedrigere Mieten vorsieht. Das geht nicht mit der marktliberalen Volkspartei, aber auch die Arbeitspartei, die eilig versprach, Sozialhilfe und Kindergeld zu erhöhen, will da nicht mitgehen.

Wilders registriert das gelassen. Wer ihn als Wahlsieger ignoriere, ignoriere auch Millionen Niederländer. „Wenn die PVV mehr als 30 Sitze holt, können die anderen Parteien nicht an mir vorbei“, sagte er in einem Interview. Bislang diskutiert das politische Den Haag viel über ihn, selten aber mit ihm: Geert Wilders geht nicht zu Wahlkampfterminen, selten auf die Straße, sein Twitteraccount ist ihm genug. Er ist ein Solist, auch die Abgeordneten seiner Partei verweisen lieber auf ihn. Und darauf, dass man gar nicht mitdebattieren müsse: „Es geht doch sowieso überall um uns.“

Mark Rutte dagegen geht mit einem Bus auf Stimmenfang. Auch er wirbt darin für eine Beschränkung der Einwanderung, so wie sie im Wahlprogramm der VVD verankert ist, er setzt verstärkt auf Sicherheitsthemen und eine Besinnung auf die „Werte und Freiheiten“ der Gesellschaft. Anfang des Monats wandte er sich in einer Zeitungsanzeige an „alle Niederländer“. Darin äußerte er seine Besorgnis über Kriminalität und mangelnde Integration und schloss mit dem Aufruf: „Verhalte dich normal, oder geh weg.“ „Doe normaal“ wurde binnen Tagen zum geflügelten Wort.

Ruttes Problem ist: Er hat seinen Wählern schon einmal viel versprochen, einen Steuerbonus etwa und die Einstellung aller Zahlungen für Griechenland – und hat es nicht halten können. Politische Beobachter glauben zu wissen: Jeder dritte Niederländer hält seinen Ministerpräsidenten für nicht glaubwürdig. Hier setzt Wilders das Messer an, bei jeder Gelegenheit. „Mark Rutte“, behauptet jedenfalls Wilders, „glaubt niemand mehr.“ Auch nicht, dass er wirklich, wirklich nicht mit ihm koalieren würde.