Berlin.

Sieben Monate vor der Bundestagswahl läutet Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) eine neue Runde von Rentenreformen ein: Wer künftig wegen Krankheit eine Erwerbsminderungsrente beziehen muss, wird schrittweise bessergestellt. Zugleich sollen die Renten in Ostdeutschland demnächst vollständig so wie in Westdeutschland berechnet werden.

Nahles zeigte sich am Mittwoch mit dem Paket zufrieden, das zuvor vom Kabinett gebilligt worden war: Die Beschlüsse zeigten, dass auf die Solidargemeinschaft Verlass sei. „Auch in der Rentenversicherung gilt: Zusammen sind wir stark.“ Doch Sozialverbände und Ost-Ministerpräsidenten übten am Mittwoch auch Kritik an den Plänen.

Erwerbsminderungsrente: Wer aus Gesundheitsgründen nicht mehr oder nicht mehr voll arbeiten kann, bekommt höhere Bezüge. Bessergestellt werden soll aber nur, wer ab 2018 neu in eine Erwerbsminderungsrente geht – so soll die Zusatzbelastung für die Rentenversicherung gedämpft werden. Derzeit werden Betroffene bei der Rente nach Krankheit oder Unfall so behandelt, als hätten sie bis zum 62. Lebensjahr weitergearbeitet. Diese „Zurechnungszeit“ wird nun stufenweise bis 2024 auf 65 Jahre verlängert. In der Endphase wird sich die monatliche Rente im Durchschnitt um etwa 50 Euro verbessern. Bislang ist Altersarmut unter erwerbsgeminderten Rentnern deutlich stärker verbreitet als unter den Rentnern insgesamt. Von der Verbesserung profitieren ab 2018 jährlich etwa 170.000 Neurentner. Die Kosten für die Rentenkasse sind mit 140 Millionen Euro 2021 noch überschaubar, sie werden aber bis 2045 auf jährlich 3,2 Milliarden Euro steigen.

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley lobte die Reform: „Andrea Nahles hat jetzt zum zweiten Mal wichtige Verbesserungen für Menschen erreicht, die gar nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt arbeiten können“, sagte Barley dieser Zeitung. „So geht gerechte und solidarische Politik.“ Doch es gibt auch Kritik. Der Sozialverband VdK etwa nannte es „enttäuschend“, dass 1,7 Millionen Bestandsrentner leer ausgingen.

Ost-West-Rentenangleichung: Die Renten in Ost- und Westdeutschland sollen von 2018 an stufenweise bis zum 1. Januar 2025 vollständig angeglichen werden. Dafür wird der aktuelle Rentenwert-Ost zur Berechnung der Rentenhöhe von 94,1 Prozent des Westwertes in sieben Schritten auf 100 Prozent angehoben. Heutige Ostrentner werden so bessergestellt. Die Kosten dafür werden bis zu 3,9 Milliarden Euro im Jahr 2025 betragen. Bis 2022 trägt allein die Rentenversicherung die Lasten, danach ist ein schrittweise steigender Bundeszuschuss geplant, der ab 2025 dauerhaft bei zwei Milliarden Euro liegen soll. Die teilweise Abwälzung der Kosten auf die Beitragszahler ist umstritten, von den Arbeitgeberverbänden kommt bereits Kritik. Nahles spricht aber von einer vernünftigen Balance.

Größeren Widerstand löst der zweite Teil dieser Reform aus: Im Gegenzug zur Angleichung des Rentenniveaus wird auch die höhere Bewertung der Löhne für die Rentenberechnung im Osten ebenfalls in sieben Schritten abgesenkt. Mit dieser Höherwertung werden bislang die im Schnitt niedrigeren Ostlöhne für die Rente ausgeglichen. Darauf müssen künftige Rentnergenerationen im Osten verzichten. Ost-Ministerpräsidenten protestieren schon: Die Besserstellung heutiger Rentner werde mit einer Schlechterstellung der Zukunftsrenten in den neuen Ländern bezahlt werden, klagte Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU).

Nahles räumte ein, dass Ostarbeitnehmer Nachteile erleiden könnten – es komme jetzt darauf an, eine Strategie für eine zügige Anpassung auch des Lohnniveaus im Osten zu entwickeln. 30 Jahre nach dem Mauerfall sei es aber höchste Zeit für die Renteneinheit.

Die beiden Gesetze sind noch nicht das Ende der Rentenpläne von Nahles: Sie hat auch ein Konzept für eine Soli­darrente vorgelegt, das Altersarmut von langjährig Rentenversicherten verhindern soll. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, soll einen Aufschlag von zehn Prozent auf die Grundsicherung erhalten. Doch in der Union gibt es Widerstand, Anfang März soll ein Koalitionsgipfel über das Thema beraten. SPD-Generalsekretärin Barley stellte sich hinter Nahles: Sie habe einen „sehr guten Vorschlag gemacht, wie Menschen mit niedrigen Einkommen auch im Alter besser über die Runden kommen“, sagte sie dieser Zeitung. Leider werde ihre Idee von CDU und CSU abgelehnt. „Die SPD wird hier richtig Druck machen“, warnte Barley. „Die Union darf sich beim Thema Altersarmut nicht einfach so aus der Verantwortung stehlen.“