Washington/hamburg. Weißes Haus legt Liste mit rund 80 Vorfällen vor, über die angeblich zu wenig berichtet wurde. Darunter ist auch der Mord an der Alster

David Gergen hat in seiner Karriere viel erlebt. Er arbeitete für die Präsidenten Nixon, Ford, Reagan und Clinton. Als altersweiser Kommentator stellt er heute dem Sender CNN seine Analysen zur Verfügung; in der Regel betont abwägend. Auf die jüngste Attacke von US-Präsident Donald Trump, der den Medien pauschal Nachrichtenunterdrückung bei islamistischen Anschlägen vorhält, reagierte der 74-Jährige anders: „Das ist einer der empörendsten Aussagen des Präsidenten“, erklärte Gergen mit errötetem Gesicht, „denn er sagt uns ohne jeden Beleg: Wir können der Presse nicht vertrauen.“

Gergen stand mit dieser Einschätzung am Dienstag nicht allein. Viele US-Medien bezeichneten die Kritik, die Trump vor hohen Militärs in Florida vorgebracht hatte, als „haltlos“. Trump hatte dort den Eindruck erweckt, dass die „sehr, sehr unehrliche Presse“ nicht „berichten will“, wenn sich das Terrornetzwerk „Islamischer Staat“ des fortgesetzten Völkermords schuldig mache. Die Medien hätten dafür „ihre Gründe“. Welche, sagte Trump – der sich im „Krieg“ mit den Medien sieht – nicht.

Die renommierten Fakten-Checker des Journalistenportals „Politifact“, die Aussagen von Politikern auf Wahrheitsgehalt überprüfen, kamen zu einem anderen Ergebnis: „Es gibt keine Belege dafür, dass die Medien Terror-Attentate verschweigen oder verschwiegen haben. Es gibt im Gegenteil ein hohes Maß an Berichterstattung.“ Von Nachfragen bedrängt, versuchte Trumps Sprecher Sean Spicer die Aussagen des Präsidenten später zu relativieren. Es gehe Trump darum, dass „zu wenig“ über Terror-Anschläge berichtet werde. Zur Untermauerung legte das Weiße Haus eine eilig zusammengestellte Liste von rund 80 Vorfällen seit Herbst 2014 vor, über die angeblich nicht oder kaum berichtet worden sei. Weil in dem Dokument auch die spektakulären Anschläge von San Bernardino, Nizza, Orlando, Brüssel und Berlin zu finden waren, über die in Amerika und weit darüber hinaus tagelang groß berichtet wurde, sah sich die Regierung am Dienstag weiteren Nachfragen ausgesetzt. „Warum wirft Trump den Medien Dinge vor, die nachweisbar nicht stimmen?“, fragten Kommentatoren des Senders MSNBC.

In mehreren Zeitungen wurde spekuliert, dass Donald Trump, der seit Beginn seiner Wahlkampagne mit der Mehrheit der US-Medien in einem Kleinkrieg steckt, mit seinen Anwürfen den Ärger über die richterliche Blockade seines Einreise-Stopps für Bürger aus sieben muslimisch dominierten Ländern kompensieren will. „Der Präsident gibt den Medien vorab eine Mitschuld, falls es demnächst zu Terror-Anschlägen in den USA kommen sollte“, sagte ein Experte der Denkfabrik Brookings, „ähnlich ist Trump mit Bundesrichter James Robart vorgegangen, der den Muslim-Bann vorläufig auf Eis gelegt hat.“

Polizei hält Mord an der Alster durch IS für unwahrscheinlich

In der vom Weißen Haus präsentierten Liste von terroristischen Gewalttaten, über die in den Medien angeblich zu wenig berichtet wurde, findet sich auch der Mord an einem 16-Jährigen an der Alster. Am 16. Oktober hatte ein bisher Unbekannter den 16 Jahre alten Victor E. unweit der Kennedybrücke durch einen Messerstich in den Rücken getötet. Ende Oktober hatte sich der IS über sein Propagandaorgan Amaq zu der Tat bekannt. An der Echtheit des Bekenntnisses gab es jedoch große Zweifel, unter anderem, weil es – unüblich für den IS – erst zwei Wochen nach der Bluttat veröffentlicht worden war.

Die Bundesanwaltschaft überprüfte zwar routinemäßig, ob sie für den Fall zuständig ist, in Abstimmung mit der Hamburger Staatsanwaltschaft wurde aber schnell entschieden, dass die Mordkommission die Ermittlungen vorerst weiter leitet. Auch heute noch, vier Monate nach der Tat, hält es die Polizei für „hochgradig unwahrscheinlich“, dass für den Mord ein Gefolgsmann des IS verantwortlich ist.