Moskau. Gesetzgeber stuft Körperverletzung zur Ordnungswidrigkeit herab

Ihr Mann verwandelte ihren Alltag in einen Albtraum. „Aus irgendwelchen Gründen wurde er meist gewalttätig, wenn Freunde da waren, er führte mich ins Badezimmer und begann dort, mich zu verprügeln“. Er habe sich täglich bemüht, sie totzuschlagen, nicht nur physisch, sondern auch moralisch. So schildert Valeria, 41, dem Reportageportal meduza.io ihre Ehe.

Valeria ist eines von Zehntausenden Opfern häuslicher Gewalt in Russland. Unter Berufung auf Polizeistatistiken zählt die Zeitung „RBK“ zwischen Januar 2015 und September 2016 97.000 Verbrechen im familiären Bereich, darunter 30.200 Misshandlungen, 1700 Mordopfer starben durch Familienmitglieder. Kein ausschließlich russisches Problem. In Russland aber sehen ein Großteil der Öffentlichkeit und der Gesetzgeber keinen Handlungsbedarf. Im Gegenteil.

Gestern hat die Staatsduma mit 380 gegen drei Stimmen das Gesetz „zur Entkriminalisierung häuslicher Gewalt“ verabschiedet. Es sieht vor, einfache Körperverletzungen an Familienmitgliedern nur noch im Wiederholungsfall strafrechtlich zu verfolgen. Bei der ersten Anzeige drohen statt Gefängnis nur noch Ordnungsstrafen von umgerechnet bis zu 470 Euro, 15 Tage Arrest oder 120 Stunden Strafarbeit.

Die Debatte entzündete sich vergangenen Sommer. Damals stufte die Staatsduma mit der Motivation, die Justiz zu entlasten, den Straftatbestand „leichte Körperverletzung“ zur Ordnungswidrigkeit herunter. Nur im häuslichen Bereich blieb es bei zwei Jahren Gefängnis. „Für eine Ohrfeige riskiert die eigene Mutter jetzt mehr als jeder fremde Onkel“ beschwerte sich die Duma-Abgeordnete Olga Batulina. „Wir lieben unser Kinder und erziehen sie nicht wie die Juden in Europa zu freien Päderasten“, wettert das nationalistische Blatt „Sawtra“. Oder wie es Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin formuliert: „Es gilt, die Familie zu stärken.“

Viele Experten sind entsetzt. „Die Mehrheit unserer Männer glauben, sie seien der Herr im Haus, die Frauen hätten zu gehorchen. Wenn nicht, landet die Faust erst auf dem Tisch, dann im Auge“, sagt die Familienanwältin Maria Jarmusch unserer Zeitung. „Und der Gesetzgeber gibt ihnen zu verstehen: Schlagt eure Frauen, euch passiert nichts.“ Immer weniger Frauen würden eine Anzeige riskieren, weil die Gewalttaten ihrer Männer jetzt wieder in den Bereich des Privatrechts fallen.