Washington. Beim Women’s March gehen Hunderttausende gegen Donald Trump auf die Straße. Es ist die größte Protestwelle gegen einen frisch vereidigten Präsidenten

Als Macey Ringer am späten Sonnabend müde und erleichtert in einem Sushi-Restaurant in Washington mit Freundinnen den „großen Tag“ Revue passieren lässt, fällt der 63-jährigen Lehrerin aus Boston beinahe der Löffel in die Miso-Suppe.

Im Fernseher über der Tür ist gerade auf CNN Sean Spicer erschienen. Der Sprecher von Donald Trump, sichtbar sauer, hält den versammelten Journalisten im Weißen Haus eine Gardinenpredigt, wie es sie so wohl noch nie gab. „Schamlos gelogen“ hätten sie über die absichtlich nach unten korrigierten Besucherzahlen bei der Amtseinführung des 45. Präsidenten. Zerstört hätten sie die tolle Aufbruchstimmung, die Donald Trump vermittelt habe. Spicer schließt seine Gegendarstellung vor laufender Kamera mit einem Satz, der wie Donnerhall daherkommt und selbst die Kellner im „Yosaku“ kurz innehalten lässt: „Das war das größte Publikum, das jemals Zeuge einer Amtseinführung geworden ist – Punkt –, sowohl persönlich als auch rund um den Globus.“

Über Macey Ringer und ihre Mitstreiterinnen verliert das Sprachrohr des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika kein Wort. „Die wollen uns wirklich totschweigen“, sagt die rotblonde Frau aus Neuengland und schüttelt ungläubig den Kopf, „aber das wird ihnen nicht gelingen.“

Zu groß, zu überwältigend sind die Zahlen der mächtigsten Protestwelle, der sich ein frisch vereidigter Präsident in Amerika jemals ausgesetzt sah. Um die 800.000 Teilnehmer in Washington. 750.000 in Los Angeles. 400.000 in New York. Hunderttausende weitere in Boston, St. Louis, Chicago, Denver und Dutzenden anderen Städten zwischen Atlantik und Pazifik. Vom Ausland, Europa bis Australien, gar nicht zu reden.

Am Ende werden es, vorsichtig geschätzt, mehrere Millionen, vor allem Frauen, gewesen sein, die am Wochenende keinen Zweifel daran ließen, was sie von einer Welt halten, in der Trump den Ton angibt.

„Der Mann ist ein Sexist und Frauenfeind. Der Mann ist ein Spalter und Hetzer. Der Mann kann niemals mein Präsident sein“, sagt die 43-jährige Rita Mcdonell aus New Jersey. Gemeinsam mit Frauen „zwischen 18 und 78“ aus ihrer Nachbarschaft ist sie am frühen Morgen am Kapitol von Washington mit dem Bus eingetroffen. Nur einen Steinwurf entfernt von der Stelle, wo Donald Trump am Tag zuvor mit einer markerschütternden Rede sein Amt antrat, stellt die Altenpflegerin ihr selbst gebasteltes Plakat auf: „No Country for Dirty Old Men“, steht darauf in Anspielung auf die vulgären Attacken Trumps gegen Frauen geschrieben – „Kein Land für schmutzige alte Männer“. Wie viele trägt Mcdonell eine pinkfarbene Strickmütze mit Katzenohren. Die „Pussyhats“ spielen auf die durch einen Audiomitschnitt bekannt gewordenen Prahlereien Trumps an, er könne Frauen jederzeit zwischen die Beine greifen, weil er nun mal ein Star sei.

Andere Trump-Gegnerinnen, die Männer sind eindeutig in der Unterzahl, ziehen den Themenkreis breiter. Sie wehren sich gegen die beabsichtigten Kürzungen bei Planned Parenthood, einer landesweiten anerkannten Einrichtung für Sexualmedizin und Familienplanung („Viva la Vulva“), oder spießen Trumps Mitteilungsdrang auf: „We Want a Leader, Not a Creepy Tweeter“ – „Wir wollen eine Führungspersönlichkeit, keinen schmierigen Twitterer.“

Schon am Mittag, als Prominente wie Alicia Keys, Scarlett Johansson, Angela Davis, Ashley Judd und Madonna auf der Bühne vehement zum Kampf für Frauenrechte und Fairness in der Gesellschaft aufriefen, war das Areal an der Mall so proppevoll, dass der geplante Marsch zum Weißen Haus abgesagt werden musste. „Deutlich über 800.000 Teilnehmer schätze ich, vielleicht aber auch eine Million“, sagte ein Polizist, der am Vortag bei Trumps Amtseinführung ebenfalls Dienst hatte.

Während die Veranstalter über den durchweg friedlichen Ansturm jubelten und bereits über die „Geburtsstunde einer neuen Protestbewegung“ sinnierten, ging der Adressat auf den Kriegspfad: Donald Trump hatte im Fernsehen gesehen und in allen Zeitungen gelesen, dass die Zuschauerzahl bei seiner Amtseinführung mit knapp 700.000 Menschen deutlich kleiner war als bei Obama mit rund 1,8 Millionen im Jahr 2009.

Kann nicht sein, darf nicht sein, entschied Trump – und ließ seinen Ärger im Hauptquartier des Auslandsgeheimdienstes CIA los. Dorthin war Trump eigentlich gefahren, um die von ihm selbst erzeugten Wogen im Streit um angebliche russische Einflussnahme auf die Wahlen zu glätten. Trump hatte die CIA-Spitze verdächtigt, für ihn unvorteilhafte Spekulationen an die Medien durchgestochen zu haben.

Trump streitet mit den Medien über Zuschauerzahlen

Nach einer plakativen Schmeichelei („Ich stehe 1000-prozentig hinter den Geheimdiensten“) wechselte Trump, ausgerechnet vor der „heiligen Wand“ mit 117 Sternen, die jene CIA-Agenten ehren, die im Einsatz gestorben sind, das Thema. Er sei „im Krieg mit den Medien“. Die Journalisten gehörten zu den „verlogensten menschlichen Wesen auf der Erde“. Tatsache sei: TV-Sender und Zeitungen hätten seine Amtseinführung mit falschen Zahlen absichtsvoll herabgewürdigt, um seinen Sieg zu entwerten. „Ehrlich gesagt, es sah aus wie 1,5 Millionen Leute“, sagte Trump. Eine Zahl, die durch nichts gedeckt ist und von keiner mit Expertise ausgestatteten Organisation geteilt wird.

Während der scheidende CIA-Chef John Brennan später sagte, Trump habe den Geheimdienst missbraucht und müsse sich „schämen“, legte Regierungssprecher Sean Spicer nach. Er warf den Journalisten Lügen vor und kündigte an, sie „zur Rechenschaft zu ziehen“. Nachfragen ließ er bei seiner Wutrede nicht zu. Was dem ehemaligen Mitarbeiter der Regierung Bush zum Verhängnis werden könnte. Spicer behauptete, dass die Verkehrsbetriebe in Washington am Tag der Amtseinführung Trumps 570.000 Tickets verkauft hätten – rund 200.000 weniger als bei Obama.

Völlig falsch, nach offiziellen Angaben der Metro-Betreiber: Bei Trumps Vorgänger stiegen im Jahr 2009 rund 1,1 Millionen Menschen in die Bahn, 2013 waren es immerhin noch 780.000.