Berlin/München.

Ganz am Ende der fast 200 Seiten fallen die entscheidenden Worte: Mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ könne davon ausgegangen werden, dass „bei entsprechenden Möglichkeiten eine Fortführung ähnlicher Verhaltensweisen angestrebt wird“. Zschäpe wird vorgeworfen, die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) mitgegründet zu haben und für zehn Morde, Sprengstoffanschläge und Banküberfälle mitverantwortlich zu sein. Dafür steht Zschäpe seit mehr als 300 Prozesstagen vor Gericht. Jetzt stellt der psychiatrische Gutachter Henning Saß fest: Käme Zschäpe frei, wären ihr ein Anschluss an die rechtsextreme Szene und schwere Gewalttaten zuzutrauen.

Somit gilt Zschäpe nach Ansicht des Sachverständigen als „voll schuldfähig“ und möglicherweise gefährlich. Diese Einschätzung könnte letztlich entscheidend für das Strafmaß sein. Am Ende der Verhandlung könnte ihr sogar Sicherungsverwahrung drohen.

Das vorläufige Gutachten, das dieser Redaktion vorliegt und das Gutachter Saß in dieser Woche im NSU-Prozess vorträgt, beschreibt auf vielen Seiten die Zeugenaussagen von Nachbarn, Freunden und Familienangehörigen zu der mutmaßlichen Rechtsterroristin. Und der Sachverständige geht auch auf Zschäpes eigene Aussage vor Gericht ein. Die wiederum steht der Anklage der Staatsanwaltschaft entgegen.

Zschäpe selbst sieht sich nicht als Gründerin des NSU. Sie hat nach eigener Aussage von den Morden erst im Nachhinein erfahren und sei empört gewesen. Sie habe sich jedoch nicht getraut, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu verlassen und sich der Polizei zu stellen – auch aus Angst, die Ermittler würden ihrer Darstellung der Verbrechen nicht glauben. Zschäpe inszeniert sich als Mitläuferin, als Isolierte beim NSU.

Der psychiatrische Gutachter Saß sieht das in seiner Analyse anders. Er hob vor Gericht hervor, er sehe bei Zschäpe ein „Bemühen um Beherrschung, Kontrolle und Autonomie“ und zugleich Widerstand gegen „Fremdbestimmung“. Das spreche gegen ihre Darstellung „einer schwachen, abhängigen, fremdbestimmten, sich resignierend unterordnenden Person“. Vielmehr erscheine die Beschuldigte als „selbstbewusst, autark, stolz, unbeugsam“.