Berlin. Bundestags-Untersuchungsausschuss wird wahrscheinlicher. Kanzlerin Merkel analysiert internes Papier über Behördenfehler

Die Aufklärung rückt stückweise näher: Mögliche Versäumnisse bei der Überwachung des späteren Berlin-Attentäters Anis Amri werden voraussichtlich Thema eines Bundestags-Untersuchungsausschusses.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder signalisierte am Wochenende seine Zustimmung. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unterstützt den Vorstoß. Kauder will am Dienstag zusammen mit CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann weitere Schritte beraten. Ein Untersuchungsausschuss sei für die Aufarbeitung besser geeignet als ein Sonderermittler, dessen Kompetenzen unklar seien, wurde seitens der Union betont. Oppermann zeigte sich offen für die Einsetzung eines Ausschusses, hat aber klar gemacht, dass er einen Sonderermittler für das wirksamere Instrument hält, um rasch Licht in den Fall zu bekommen.

Amri hatte beim Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin zwölf Menschen getötet und viele schwer verletzt. Sein Bewegungsprofil vor der Tat bleibt rätselhaft. Seit Donnerstag liegt mehreren Mitgliedern des Innenausschusses im Bundestag die Information vor, dass die Kontaktperson einer NRW-Behörde – offenbar des Landeskriminalamts – den späteren Attentäter mindestens einmal mit dem Auto in die Hauptstadt gefahren hat. Amris Fahrer war bereits als Kontaktperson des Gefährders bekannt. Ihm gegenüber hatte er mit seinen Anschlagsplänen geprahlt und nach einer Schnellfeuerwaffe gefragt. Dass Amri selbst V-Mann gewesen sein könnte, hat die Landesregierung dementiert.

Aus einem vertraulichen Bericht des Bundeskriminalamts, aus dem die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, geht hervor, dass Amri zwar wiederholt über Anschlagspläne gesprochen habe. In abgehörten Telefonaten habe er jedoch auch wiederholt davon gesprochen, dass er in seine Heimat Tunesien zurückkehren wolle. Den Unterlagen zufolge hätten die Behörden einen Anschlag durch Amri für unrealistisch gehalten. Während der Observationen von März bis September 2016 habe er sich immer weniger um religiöse Angelegenheiten wie Moscheebesuche gekümmert. Stattdessen sei er im „Drogenkleinsthandel“ tätig gewesen.

Auch ein weiterer als geheim eingestufter Bericht sorgt in Regierungskreisen für Unruhe. 24 Stunden nach der Unterrichtung der Obleute im Ausschuss hatten Innenminister de Maizière und Justizminister Heiko Maas (SPD) einen Brief an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgesetzt. Er enthält eine Chronologie der Ereignisse und eine Manöverkritik. „Ich werde mir alles ganz genau anschauen“, sagte Merkel dazu. Am Mittwoch soll sich der Innenausschuss mit dem Papier befassen.

Die Bundesregierung verstärkt unteressen ihren Druck auf unkooperative Herkunftsländer sogenannter Terror-Gefährder. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) bekräftigte seine Forderung, die Maghreb-Staaten zur Rücknahme abgelehnter Asylbewerber notfalls zu zwingen. Er regte im Deutschlandfunk an, die Herkunftsländer auch für eine bessere Zusammenarbeit zu belohnen: „Wenn sie helfen, mehr machen. Wenn sie nicht helfen, weniger machen.“ Wer sich der Rücknahme eigener Staatsbürger verweigere, müsse mit Sanktionen rechnen. Justizminister Maas forderte in der „Welt am Sonntag“, „von der Entwicklungshilfe, über die Wirtschaftsförderung bis zur Visa-Erteilung nichts aus(zu)schließen“.