Berlin.

„Horst Seehofer möchte von allen geliebt werden“, sagt ein Parteifreund. Was für ein Leidensjahr muss hinter dem CSU-Chef liegen – zwölf Monate partiellen Liebesentzugs. Denn in der Flüchtlingspolitik ging Seehofer keinem Streit aus dem Weg. Wenn auf eines Verlass ist, dann auf die Angriffe auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.

„Es setzt einem schon zu“, gesteht Seehofer vor der Klausurtagung der Landesgruppe im Kloster Seeon,, „es ist menschlich eine Belastung.“ CDU und CSU seien Schwestern, „die Bundeskanzlerin und ich haben seit dem Jahr 2005 bis heute gut bis sehr gut zusammengearbeitet“. Mit der CDU von Angela Merkel habe er längst Frieden schließen können – sie sei nun mal die Kanzlerkandidatin. Jetzt ist für Februar eine Klausur beider Parteispitzen geplant, für Mai ein gemeinsames Wahlprogramm. Die größte Integrationsleistung muss Seehofer intern bewältigen. In der CSU macht er drei Strömungen aus: ein Drittel „nie mehr Merkel“, ein Drittel „mach mir die Merkel nicht kaputt“, ein Drittel indifferent. „Wir können auf keine dieser Gruppen verzichten.“ Sie zusammenzuführen nennt er eine Herkulesaufgabe.

Fast unmerklich hat er seine Rhetorik variiert. Die Forderung nach einer Obergrenze für die Flüchtlinge begründet er neuerdings damit, dass man sich besser auf ihre Integration fokussieren könne. Das ist mal eine Ansprache, die Befürworter wie Gegner der Willkommenskultur anspricht.

Die CSU bleibt für die CDU schwer einzuschätzen

Seehofer ist überzeugt, dass er keine Positionen räumen darf, nur damit Harmonie herrscht: „Wir dürfen nichts inszenieren, was der Realität nicht entspricht. Wir müssen den Akzent der CSU deutlich machen.“ Ein „Bayernplan“ ist ausgemachte Sache: ein eigenes Wahlprogramm mit Forderungen, die der CDU nicht schmecken, wie der unvermeidlichen Obergrenze – das Wort des Jahres im Mikrokosmos der Unionsparteien.

Die Christsozialen sind auf Merkel angewiesen. Wie anders soll man verstehen, was er neulich im Parteivorstand zu bedenken gab? „Wenn wir die Bundestagswahl nicht gewinnen, haben wir auch bei der Bayernwahl 2018 keine Chance.“ Die CSU muss für Merkel kämpfen. Aber sie kann das nur glaubhaft tun, wenn sich beide auch inhaltlich annähern. Für die Bundestagswahl sieht er eine „große Chance, dass wir näher bei 40 Prozent landen können als bei 30 Prozent. Es liegt an uns selbst.“ Mehr braucht die Kanzlerin auch nicht. 30 bis 40 Prozent und hinterher einen Koalitionspartner, den sie satteln kann. Bei der CSU reicht das nicht, es geht um die absolute Mehrheit in Bayern. Darin wird man eines Tages Seehofers Leistung messen. „Es geht im Moment um die Existenz vieler politischer Lebenswerke“, hat er im „Spiegel“ gesagt. Ein bitterer Satz, ein Einblick in sein Inneres. Wenn sich rechts neben ihr durch die AfD eine neue Kraft etabliert, hätte die CSU versagt. Kann Merkel die Ängste nicht mitfühlen?

Sie haben zuletzt oft miteinander geredet. „Das würde uns jetzt niemand glauben, wenn man uns hier reden hören würde“, haben Merkel und Seehofer gescherzt. Weil sie sich doch in so vielen Fragen einig waren: dass die Union sich nicht nach links öffnen dürfe, dass es sich lohne, um die AfD-Wähler zu kämpfen, und dass sie keinen Koalitionswahlkampf führen wollten.

Indes hört man aus Merkels Lager genau das Gegenteil: dass sie sich in der Analyse der Flüchtlingskrise und über den Umgang mit der AfD nicht einig seien. Die strategische Partnerschaft mit der CDU „geht ein Stück weit verloren“, sagen auch zwei CSU-Präsidiumsmitglieder.

Der Riss geht tief, ist die Folge eines politischen Bebens: die Öffnung der Grenzen im September 2015. Das Epizentrum machte der CSU-Mann im „berühmten Quadratkilometer um den Reichstag“ aus, dort, wo die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht immer im Mittelpunkt stehe. Merkel ließ die Flüchtlinge aus Überzeugung ins Land, Seehofer hielt ebenfalls prinzipiell dagegen.

Innerparteilich hat es ihm genutzt. Nahezu jeder CSU-Beschluss fiel einstimmig. Aus der Gefolgschaft speisen sich Stärke, Autorität. Die Debatte über seine Nachfolge gab es vorher. Neu ist, dass Seehofer den Taktstock führt, nicht Finanzminister Markus Söder. Handeln oder behandelt werden? An der Antwort erkennt man das Alphatier. Der Kampf gegen den sich betont robust gebenden Söder habe Seehofer kirre gemacht, meint ein Merkel-Getreuer.

Seehofer glaubt, dass Merkel aus einem humanitären Impuls heraus die Grenzen offen ließ, aber das Ende nicht bedachte, zum Beispiel das Sicherheitsrisiko. Mit jedem Gewaltausbruch wie in der Kölner Silvesternacht im vergangenen Jahr, mit jedem Anschlag wie in Berlin fühlt er sich bestätigt: Die Frage der Sicherheit schwebe „wie ein Damoklesschwert“ über der Union im Wahljahr. „Es haben schon viel unwichtigere Dinge Wahlen entschieden“, sagt er. „Natürlich ist die Sicherheitslage politisch ein Gefährdungspotenzial.“ Deswegen ließ sein Sperrfeuer nie nach, zum Leidwesen der eigenen Leute. „Wir haben immer nur über das halb leere Glas gesprochen“, beklagen sie in der CSU-Landesgruppe. Die CSU habe viele Korrekturen in der Ausländerpolitik durchgesetzt, aber sie nicht richtig kommuniziert, weil Seehofer eine Attacke nach der anderen geritten habe.

Worauf hat er gewartet? Auf eine Entschuldigung Merkels? Er wehrt die Frage ab. „Mir kommt es darauf an, dass man in der Praxis recht bekommt.“ Zuletzt nahm der Bund das Angebot an, dass die bayerische Polizei bei der Sicherung der Grenze nach Österreich hilft. Das ist erstens eine Genugtuung für den Freistaat, und zweitens bestätigt es, dass steter Tropfen den Stein höhlt. Dem Bund wurde es oft angeboten.

Er könnte loslassen, zumindest kürzertreten, im Juli wird Seehofer 68. Aber er lässt wieder offen, ob er nach 2018 weitermachen wird. Im Doppelamt? Als Ministerpräsident in München oder doch in Berlin, wo er den Platz für einen CSU-Chef sieht? Über den Jahreswechsel wollte Seehofer sich Gedanken über die Aufstellung machen. Im Mai stellt die CSU formal ihre Kandidaten auf, „und bis dahin nehme ich mir auch Zeit zu überlegen, wer hier in der Spitzenmannschaft mitwirkt“. Seehofer will die Landtagswahlen im Frühjahr abwarten, „das ist von der Terminplanung ideal, jetzt würden wir unnötig unsere Munition vergeuden“. Und so bleiben er und die CSU schwer auszurechnen – für die CDU und für Angela Merkel.