Hamburg. Außenminister Frank-Walter Steinmeier zieht positives politisches Fazit des OSZE-Ministertreffens in Hamburg – warum es trotzdem keine Abschlusserklärung gibt

Manchmal sind es Ereignisse, die am Rande einer Konferenz geschehen, die am meisten aussagen. Weil am Freitag auf der OSZE-Ministerkonferenz in Hamburg für ein Foto mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow eine Flagge fehlte, wurde kurzerhand im Pressezentrum ein Exemplar für wenige Minuten abgebaut. Doch die Zeit reichte, um das Foto vom Fehlen der Fahne über soziale Medien zu verbreiten. Die (kurzzeitige) Aufregung jedenfalls war groß.

Nun könnte man beklagen, dass auf einer internationalen Konferenz, die über Monate akribisch vorbereitet wurde und am Ende den Steuerzahler einen gehörigen Millionenbetrag gekostet haben dürfte, eigentlich auch Ersatzflaggen zur Verfügung stehen müssten. Tritt man aber einen Schritt zurück und betrachtet das Große und Ganze, so zeugt die Flaggengeschichte wohl eher von Einfallsreichtum und Improvisationsvermögen der Deutschen.

Ihr oberster Diplomat, Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier, hatte am späten Freitagnachmittag in den Hamburger Messehallen die ungleich schwierigere Aufgabe, die zweitägige Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als Erfolg zu verkaufen.

Wer erlebt hatte, wie unversöhnlich Russlands Außenminister Sergej Lawrow und sein ukrainischer Amtskollege Pawlo Klimkin – flankiert von Steinmeier und US-Außenminister John Kerry – dem jeweils anderen zum x-ten Mal die Schuld für den Ukrainekonflikt gaben, der konnte ahnen, dass es nicht am OSZE-Konsensprinzip liegt, weshalb die Ministertreffen schon seit dem Jahr 2002 nicht mehr mit einer für alle verbindlichen Abschlusserklärung enden.

Steinmeier räumte denn auch ein: „Man konnte spüren, dass Spannungen in der Luft liegen.“ Die Konflikte in der Ukraine, um Transnistrien und Bergkarabach sowie in Syrien spielten während der Hamburger Konferenz eine Rolle. Er habe mit den Außenministern der USA und Russlands beispielsweise über die Lage im syrischen Aleppo gesprochen. „Wir sind nicht da, wo wir sein müssten. Aber dass beide Außenminister inzwischen wieder über Waffenpausen und humanitäre Hilfe sprechen, ist ein kleiner Fortschritt.“

Womöglich um Kritikern an der Konferenz den Wind aus den Segeln zu nehmen, bezog Steinmeier sich auf ein Zitat des früheren, aus Hamburg stammenden Bundeskanzlers Helmut Schmidt, als er sagte „Wer keine Visionen hat, dem kann auch kein Arzt helfen.“ Schmidt hatte gesagt: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Geredet wurde jedenfalls viel in den beiden vergangenen den Tagen in der Hansestadt: im Plenum, am Rande der Konferenz, beim Mittag- oder beim Abendessen. Jeder der gut 50 anwesenden Außenminister konnte sich das Thema seiner dreiminütigen Rede aussuchen, was Griechenlands obersten Diplomaten zu der Bemerkung veranlasste, statt vorbereitete Reden anzuhören, würde er die Pro­bleme, die den Staaten auf den Nägeln brennen, lieber direkt diskutieren.

Steinmeier bewertete die Hamburger Konferenz dennoch positiv, weil er gemerkt habe, dass die meisten Teilnehmer sich um Verständigung bemühten – auch wenn natürlich die Gräben blieben. „OSZE heißt eben auch Nerven behalten, Gelassenheit zeigen und hoffen, dass sich die Vernunft am Ende durchsetzt“, sagte der Außenamtschef und fügte hinzu: „Die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, hat zugenommen.“

OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier sprach hingegen von einer tiefen Kluft innerhalb der Organisation. „Die Gemeinschaft der OSZE-Staaten ist gespalten“, erklärte er zum Abschluss. Im Zentrum des Zerwürfnisses stehe der Ukraine-Konflikt. „Aber das ist nicht das einzige Problem, das wir haben – es ist vielleicht nur das sichtbarste.“ Damit spielte Zannier auf die Kluft zwischen Ost und West an.

Auch an dieser „Kluft“ dürfte es gelegen haben, dass die 57 OSZE-Mitgliedsländer sich auch in diesem Jahr nicht auf eine einheitliche Linie haben verständigen können. Stattdessen veröffentlichte Deutschland als Gastgeber des Ministertreffens und amtierender OSZE-Vorsitzender eine eigene, jedoch vage klingende Erklärung. Darin heißt es, alle Seiten müssten zur Deeskalation regionaler Konflikte beitragen, die OSZE könne in Zukunft auch eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung von Migrationsströmen spielen, ein neuer Anlauf zur Rüstungskontrolle wäre sinnvoll.

Parallel zum deutschen Abschluss-Kommuniqué wurden eine Reihe von gemeinsamen Papieren zu Einzelfragen sowie eine „Zukunftserklärung“ verabschiedet, an der sich auch die beiden künftigen OSZE-Vorsitzenden Österreich und Italien beteiligten. Im kommenden Jahr übernimmt Österreich mit seinem Außenminister Sebastian Kurz den OSZE-Vorsitz. Der kündigte an, Russland wieder stärker einbeziehen zu wollen. Es gehe darum, Vertrauen zwischen den Staaten aufzubauen. „Seit einigen Jahren ist das Blockdenken wieder zurück auf unserem Kontinent.“ Österreich sei immer ein Land an der Brücke zwischen Ost und West gewesen und habe daher reichlich Erfahrung.

Zudem wolle sein Land sich auf den Kampf gegen Radikalisierung und Terrorismus konzentrieren, sagte Kurz. „Wir haben aus dem OSZE-Raum über 10.000 Personen, die sich auf den Weg gemacht haben, um im Irak und Syrien den IS-Terror zu unterstützen, dort zu vergewaltigen und zu morden.“ Bei einer Rückkehr seien sie „eine massive Sicherheitsbedrohung für uns alle“.