Debaga.

Die Frauen stehen Schlange, um sich registrieren zu lassen. Ernste, müde Gesichter, fast alle sind noch in die schwarzen Gewänder gehüllt, die sie seit mehr als zwei Jahren tragen mussten, um nicht ausgepeitscht zu werden. Täglich kommen mehr Menschen nach Debaga, ein Flüchtlingscamp im Nirgendwo zwischen der Kurdenhauptstadt Erbil und der Millionenmetropole Mossul, deren Befreiung von der Terrorherrschaft des „Islamischen Staates“ (IS) vor wenigen Tagen mit einer Großoffensive begonnen hat.

Srur Maschid trägt kein Schwarz mehr. Sie hat ein farbenprächtiges Kleid an, rot und grün, es ist schmutzig und verschlissen, aber sie ist stolz darauf und lächelt viel. „Daesch hat uns sogar gezwungen, schwarze Handschuhe zu tragen, wir mussten unsere Gesichter verhüllen.“ Daesch ist die arabische Bezeichnung für die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Ungezwungen mit einem fremden Mann zu sprechen, so wie sie es jetzt tut, hätte noch vor acht Tagen ihr Todesurteil bedeuten können. „Wir durften nicht einmal das Haus verlassen, wenn uns nicht unser Mann, unser Bruder oder unser Vater begleitet hat.“ Srur ist 20 Jahre alt, sie kommt aus einem Dorf bei Hawidscha. Hawidscha ist neben dem 150 Kilometer weiter nördlich gelegenen Mossul die letzte verbliebene Hochburg des IS im Irak. Die Stadt und die Dörfer in dem Distrikt waren seit dem Sturz Saddam Husseins Zentren des sunnitischen Widerstands gegen die Ausgrenzungspolitik der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad. Im April 2013 schossen dort irakische Soldaten eine Demonstration zusammen, über 50 Menschen starben. Die Dschihadisten des IS wurden hier mit offenen Armen empfangen, als sie im Sommer 2014 das Land überrollten.

Die Freude über die vermeintliche Befreiung war in Hawidscha schnell vorbei. Die Islamisten errichteten ein Terrorregime. „Da waren sehr viele Fremde dabei, Leute aus Afghanistan, sogar Chinesen“, erzählt Srur. „Sie haben jeden bestraft, der sich nicht nach ihre Regeln gehalten hat. Wenn die Männer nicht in die Moschee zum Beten gegangen sind, wenn jemand geraucht hat, wenn der Bart nicht lang genug war oder das Kleid.“ Einmal brachten die Dschihadisten gefangene Jesiden in das Dorf. „Sie haben sie auf der Straße gesteinigt.“

Neben Srur sitzt Ahmed, ihr Bruder, er ist 12 Jahre alt, seine Augen sind die eines Erwachsenen. „Sie haben Leute aufgehängt und dann geschlachtet. Ich musste mir das anschauen, ich durfte nicht weggucken oder weinen. Ich habe diese Bilder immer im Kopf“, sagt er mit ausdruckslosem Gesicht. In der Schule im Dorf brachten die Dschihadisten Ahmed bei, wie man Bomben baut. Einen normalen Unterricht gab es nicht. „Die wollten, dass ich für sie kämpfe.“ In den vergangenen Monaten wurde das Leben immer unerträglicher. „Sie haben uns die Lebensmittel abgenommen und sie uns dann wieder verkauft“, sagt Srur. Ein Kilo Reis kostete am Ende 54.000 Dinar, das sind umgerechnet etwa 40 Euro. Die Männer und älteren Jungs unter den Neuankömmlingen werden in Debaga separiert. Sie kommen in eine Art Internierungslager, umgeben von einem stacheldrahtbewehrten Zaun. Die kurdischen Sicherheitskräfte haben die Befürchtung, dass mit den Flüchtlingen auch IS-Kämpfer kommen könnten, sie unterziehen die Männer deswegen einer Sicherheitsüberprüfung.

Jasser ist 31 und schon seit mehr als zwei Monaten in Debaga. Das Leben hier ist nicht einfach, sagt er. „Wir bekommen kein Geld, nur Bohnen, jeden Tag.“

Aus der Region um Mossul sind in den vergangenen Tagen etwa 6000 Menschen geflohen, aus der Gegend um Hawidscha etwa genauso viele. Die UN rechnen mit bis zu einer Million Flüchtlingen allein aus Mossul, wenn die Kämpfe die Stadt erreichen. Unterkünfte gibt es derzeit für 60.000 Menschen.