Karlsruhe. Bundesgerichtshof gibt Müttern recht. Familienministerin will Angebot ausbauen. Grüne: „Schuss vor den Bug aller Kommunen.“

Der Bundesgerichtshof stärkt die Rechte von Eltern. Mütter und Väter haben grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz für Verdienstausfall, wenn eine Kommune schuldhaft zu wenige Krippenplätze für Kleinkinder ab einem Jahr einrichtet. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag in Karlsruhe. „Die Stadt wird sich nicht auf allgemeine finanzielle Engpässe berufen können“, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann. Jedoch könne fehlendes Personal ein Grund für fehlende Kita-Plätze sein.

Geklagt haben drei Frauen aus Leipzig. Sie hatten jeweils kurz nach der Geburt ihrer Kinder bei der Stadt Bedarf an einem Kita-Platz nach einem Jahr Elternzeit angemeldet. Trotzdem gingen sie zunächst leer aus und konnten erst Monate später zurück in den Job. Die Mütter klagen auf Verdienstausfall zwischen 2200 Euro und 7330 Euro.

Das Karlsruher Urteil ist für die Mütter ein wichtiger Etappensieg. Der Vorsitzende Richter betonte jedoch bei der Verkündung: „Damit ist die Sache noch lange nicht zu Ende.“ Denn die Gerichte der Vorinstanzen hatten nicht geklärt, ob die Stadt Leipzig schuld an den Verzögerungen war. Das Oberlandesgericht Dresden muss die Fälle deshalb noch einmal verhandeln und endgültig entscheiden.

Grundsätzlich eröffnet die BGH-Entscheidung aber auch anderen Eltern die Möglichkeit einer Schadenersatz­klage. Denn Urteile der obersten Zivilrichter in Karlsruhe sind für die Rechtsprechung in ganz Deutschland maßgeblich. (Az. III ZR 278/15 u.a.)

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund rechnet trotzdem nicht mit einer Klagewelle. Die meisten Kommunen hätten die „Herkulesaufgabe“ Kita-Ausbau weitgehend gemeistert, sagte eine Sprecherin. Aus kleineren Städten seien keine anhängigen Klagen bekannt. Allenfalls in den Groß- und Unistädten komme es aufgrund der starken Nachfrage zu Engpässen.

Seit 1. August 2013 gibt es für alle Kinder ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kita oder bei einer Tagesmutter. Nach dem Wortlaut des Gesetzes steht dieser Anspruch dem Kind zu. Für die BGH-Richter steht aber fest, dass es dem Gesetzgeber auch darum gehe, Berufstätige durch bessere Betreuungsangebote zur Familiengründung zu ermutigen. Der Anspruch schützt nach Auffassung des Gerichts deshalb auch die Interessen der Eltern.

„Das Urteil ist ein gutes und wichtiges Signal“, sagte die stellvertretenden Vorsitzenden der Grünen, Katja Dörner, dieser Zeitung. „Es ist ein Schuss vor den Bug aller Kommunen, die die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf die lange Bank schieben.“ Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse Priorität haben. „Mehr Geld für den Kita-Ausbau und ein Qualitätsgesetz wären die Antwort der Stunde.“

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) begrüßt das Urteil. Sie werde sich dafür einsetzen, dass der Ausbau von Kitaplätzen und die Betreuung von Grundschulkindern fortgesetzt werde. Zwischen 2006 und 2016 seien bereits mehr als 400.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren entstanden. Trotzdem decke das Angebot nicht überall den Bedarf der Eltern.