Hamburg . Albaniens Ministerpräsident Edi Rama besucht das Hamburger Abendblatt, spricht über die Ziele seines Landes, Vorurteile und Flüchtlinge

Matthias Iken

„Dieses Amt hat meine Haare weiß werden lassen“, sagt Edi Rama (52), seit 2013 der 12. Ministerpräsident von Albanien. „Aber es hat mich mein Land viel besser zu verstehen gelehrt. „Ich hoffe nur, dass ich die Menschen nicht verraten werde. Fehler zu machen ist ein Bestandteil eines solchen Amtes; es kommt aber darauf an, ob man sie absichtlich oder irrtümlich begeht. Und ich hoffe, meine Fehler gehören zur letzteren Kategorie.“

Die Biografie dieses bemerkenswerten Mannes gehört zu den ungewöhnlichsten im europäischen Politikbetrieb: Der wuchtige 2,02 Meter-Mann war Mitglied der albanischen Basketball-Nationalmannschaft, ist studierter Kunstmaler und war Lektor an der Akademie der Künste, dann ab 2000 länger als ein Jahrzehnt Bürgermeister von Tirana - wo er die Häuser bunt anmalen ließ, um die Stimmung der Bürger zu heben.

Am Montag war Rama in Hamburg, absolvierte die übliche Tour für einen hohen Staatsgast und besuchte dann das Hamburger Abendblatt.

Albanien, sagt Rama, habe im Prinzip den gleichen Prozess des Übergangs von einer sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft erlebt wie Ostdeutschland und andere ehemalige Staaten des Ostblocks auch. Aber mit einem wesentlichen Unterschied: „Albanien war ein Land, das völlig isoliert war - sowohl vom Westen als auch vom Osten. Wir mussten uns mühsam aus dieser völligen Isolation herausarbeiten und mit Ost und West Kontakte herstellen. Unter diesen Voraussetzungen waren die vergangenen 25 Jahre in jeder Hinsicht ganz erstaunlich. Zusammengefasst: Große Veränderungen, große Herausforderungen, große Probleme.“

Die Finanzkrise und der Brexit habe die Albaner in Sachen EU keineswegs ernüchtert. „Unser Land ist nicht nur für die Europäische Union, es identifiziert sich mit der EU. Teil der Union zu werden ist ein Traum, den wir als Nation seit sehr langer Zeit hegen. Vorläufig kann nichts diesen Traum zerstören.“ Der Weg in die EU-Mitgliedschaft gehöre zu den unverzichtbaren Elementen der Modernisierung in Albanien.

Derzeit erlebt das Balkan-Land allerdings einen regelrechten Exodus - vor allem jungen Menschen ziehen weg. Edi Rama sieht es gelassen. „Unsere jungen Leuten tun nur das, was junge Leute heute im globalen Arbeitsmarkt auch in anderen Ländern tun: Sie ziehen etwa von Polen, Bulgarien, Tschechien oder Rumänien fort, um bessere Arbeitsplätze zu bekommen. Sogar junge Menschen aus Süditalien ziehen dafü etwa nach Deutschland.“

Dieses Phänomen solle nicht als speziell albanisch betrachtet werden. Eine Besonderheit daran sei allerdings, dass viele Albaner in Deutschland Asyl beantragten, weil ihnen die Bewegungsfreiheit auf normalem Wege verschlossen bleibe. „Eine Lösung dafür wäre, alle Balkanstaaten in einen gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt einzubringen. Und das würde einen Markt von mehr als 500 Millionen Menschen, die sich frei bewegen, nicht weiter beeinträchtigen.“ Natürlich habe die Flüchtlingskrise diesen Migrationseffekt verstärkt. „Es ist sehr gut, dass man sich in Deutschland entschieden hat, Albanien zu den sicheren Herkunftsländern zu zählen - das hat ein Stück Normalität zurückgebracht“, sagt der Premier.

Dass Albanien zu den Staaten mit den meisten Asylanträgen in Hamburg zählt, kommentiert Rama mit den Worten: „Die suchen ja gar nicht Asyl, die suchen Arbeit. Diese Menschen haben keine politischen Probleme in Albanien, sie wollen einfach ein besseres Leben und hoffen auf einen Job hier.“

Albanien weise sämtliche Probleme auf, die ein Prozess der Modernisierung eben mit sich bringe. Angesprochen auf das Reizthema Korruption, sagte Rama, es sei eine „Mode der Bürokratie“, von Korruption zu sprechen, wenn man über sich entwickelnde Staaten redet. Korruption sei einer der Preise für Entwicklung, in Systemen, die noch nicht gut funktionieren. „Die schlimmste Seite der Korruption ist, wenn sie endemisch ist, also zur Bevölkerung dazu gehört“, sagt Rama. „Doch das ist bei uns nicht der Fall. Es ist die Aufgabe jeder demokratischen Gesellschaft, Immunität gegen Korruption zu entwickeln.“

Stolz sei er auf „unseren Grundwert der Koexistenz der Religionen“, sagt der Katholik Rama, der mit einer Muslima verheiratet ist. Es sei das, was Papst Franziskus „religiöse Bruderschaft“ genannt habe. „Und wir haben eine stolze Tradition der Rettung von Juden.“ Albanien sei das einzige Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg mehr jüdische Bürger hatte als davor. „Kein Jude wurde an die Deutschen ausgeliefert - und die Retter waren vor allem Muslime. Wir sind dann allerdings durch eine besondere Art der Hölle gegangen, als in der kommunistischen Zeit unter dem Einfluss der chinesischen Kulturrevolution mehr als 2400 religiöse Stätten wie Kirchen und Moscheen in die Luft gejagt wurden. 300 000 religiöse Kunstwerke wurden vernichtet, viele Menschen ins Gefängnis geworfen. Wir haben dann eine Wiedergeburt erlebt in den frühen 90er Jahren nach dem Fall des Kommunismus. Christen wie Muslime fühlen sich Europa und seinen Werten zugehörig.“ Albanien habe unlängst auch die Herausforderung ausländischer muslimischer Kämpfer erlebt, „aber wir sind dem entschlossen entgegengetreten und 2015 gab es keinen mehr bei uns.“

Touristisch ist das landschaftlich reizvolle Albanien noch ein Geheimtipp, aber der Ansturm hat jetzt eingesetzt - in diesem Jahr lagen die Touristenzahlen bereits 25 Prozent oberhalb der Kapazitäten bei der Unterbringung. „Albanien leidet noch immer unter bestimmten Stereotypen“, sagt der Ministerpräsident. „Keiner will da hin, aber jeder, der einmal da war, will wieder zurückkehren.“