Hempstead.

Wenn Frank Luntz und seine „Fokus“-Gruppen Donald Trump von der Fahne gehen, ist bei den Republikanern Alarmstimmung angesagt. Der rechtspopulistische Medienprofi schaut nach Wahldebatten in Amerika regelmäßig für den (Trump-freundlichen) Fernsehsender Fox News dem Volk genau aufs Maul. Von 20 anhand des Bevölkerungsquerschnitts ausgesuchten Gästen hatten nur drei den Eindruck, der New Yorker Bau-Milliardär habe in der ersten TV-Debatte um die Präsidentschaft gegen seine in Umfragen ebenfalls herzlich unbeliebte Konkurrentin Hillary Clinton die Oberhand behalten. Bei der Konkurrenz von CNN sah das Verhältnis nach dem 90-minütigen Schlagabtausch in der Hofstra-Universität bei Hemp­stead im Bundesstaat New York so aus: 62 Prozent für Clinton, 27 Prozent Trump. Für den 70-Jährigen ein Schlag ins Kontor. Bei seinem ersten Rendezvous mit Millionen Wählern, viele davon noch unentschlossen, hinterließ der politische Seiteneinsteiger bis auf wenige Momente konstant den Eindruck der Überforderung. Seine Konkurrentin wirkte dagegen gelassener und souverän. Eine Analyse:


Was hat Trump falsch gemacht?

Er muss generell den Egomanen in sich an die Kette legen. Sein permanentes Eigenlob („Ich habe ein unglaubliches Unternehmen aufgebaut“) mag Rechtsaußen-Republikaner beeindrucken. Dem allgemeinen Publikum, in dem viele liberal, moderat oder demokratisch getaktet sind, stinkt es. Zumal Clinton auf Wir-Gefühl setzt („stronger together“).

Wie Trump zu beklagen, dass die Mordrate in Chicago „schrecklich hoch“ ist, geht in Ordnung, weil es bei mehr als 500 Toten in diesem Jahr der Wahrheit entspricht. Nachzuschieben, „ich habe dort Eigentum“, stößt dagegen übel auf.

Ein ähnliches Eigentor schoss Trump bei der notorisch heiklen Steuerfrage. Clinton wies ihm nach, dass es Jahre gab, in denen Trumps Berater ihn so arm rechneten, dass er gar keine Einkommensteuer zahlte. Das mögen Amerikaner gar nicht. Denn vor allem mittlere Einkommen, die wenige Abzugsmöglichkeiten haben, landen leicht bei 35 bis 40 Prozent „Income-Tax“. Trumps prahlerischer Zwischenruf, seine Steuervermeidung sei der Beleg für seine „Schlauheit“, wird ihm noch „sehr leidtun“, schreiben US-Kommentatoren. Dass Trump ständig versuchte, den Moderator zu entmachten und die Gesprächsleitung an sich zu reißen, ebenfalls.


Ohne solide Vorbereitung lässt sich
so ein Duell nicht bestreiten

Es ist schon schwer genug, 90 Minuten am Stück zu stehen. Über eine Fußballspiellänge schlagfertig, wach und bei den Fakten sattelfest zu bleiben, wenn Millionen jede Bewegung mitverfolgen, kommt nicht aus heiterem Himmel. Donald Trump muss sich besser vorbereiten. In fast allen Themenkomplexen wirkte er unsouverän, nicht auf der Höhe, teilweise sogar verwirrt. Beispiel: Sein zehnjähriger Sohn sei sehr flink und kundig im Umgang mit Computern, sagte Trump, um direkt anzufügen, dass Maßnahmen gegen Internet-Kriminalität (Cyber-Sicherheit) die wichtigste Aufgabe kommender Regierungen seien. Im republikanischen Ringkampf hat Trump mit solchen Irrläufern 16 Konkurrenten kirre gemacht. Gegen Hillary Clinton reicht dieser Wortsalat nicht. Substanz muss her. Trump hat sie bisher nicht gezeigt.


Trump hat seine Angriffsflächen
nicht genug geschützt

Dass er seine Steuererklärung mit fabrizierten Begründungen partout unter Verschluss halten will, obwohl Präsidentschaftsbewerber dieses Papier quasi als „Führungszeugnis“ seit 50 Jahren offenlegen, macht argwöhnisch. Trump muss sich eine stichhaltige Erklärung einfallen lassen. Sonst wird sich die Spekulation festsetzen, die Clinton präzise lanciert hat: dass er nicht so reich ist, wie er immer behauptet. Dass seine Wohltätigkeitsaktionen nur Fassade sind. Dass er mit auswärtigen Potentaten Geschäftsbeziehungen unterhält, die ihn als Präsident erpressbar machen. Dass er – kurzum – etwas zu verheimlichen hat.

Dazu muss Trump einen Weg finden, seine vielleicht größte Charakterschwäche – eine Mischung aus Sexismus und Rassismus – besser zu verbergen. Clinton warf ihm vor, Frauen öffentlich „als Schweine, Schlampen und Hunde“ bezeichnet zu haben. Eine ehemalige Schönheitskönigin würdigte er sogar als „Fräulein Haushälterin“ herab, weil sie aus Latein-Amerika stammt. Trump ließ die wasserdicht belegbare Kanonade ohne Widerspruch über sich ergehen. In der weiblichen Wählerschaft, in der Trump auf lausige Zustimmungswerte kommt, gab das keine Sympathiepunkte.

Außerdem: Wenn Trump glaubt, lügen zu müssen, sollte er es geschickter tun. Trump stritt vor laufender Kamera ab, ins Lager derer zu gehören, die den Treibhaus­effekt für Hokuspokus halten. „Das habe ich nie gesagt.“ Hat er doch: „Der Klimawandel wurde von und für die Chinesen erfunden, weil sie amerikanische Firmen aus dem Rennen werfen wollen.“


Trump bohrte nicht bei Clintons
Altlasten nach

Bestes Beispiel: die E-Mail-Affäre. Clintons törichter, am Rande des Strafbaren angesiedelter Gebrauch eines privaten E-Mail-Servers zu Zeiten als Außenministerin. Seit Monaten ist das ein Mega-Thema, bei dem noch Fragen offen sind. Clinton beerdigte die Sache mit einem einzigen Satz: „Ich habe einen Fehler gemacht, private Konten genutzt zu haben.“ Trump machte nicht einmal den Versuch des Nachsetzens. Clinton begriff das sofort. Und spielte ihn bis zum Ende an die Wand.


Trump leidet gelegentlich unter
Wirklichkeitsverlust
Am Ende, als Trump nach vielen unbeherrschten Zwischenrufen alle halbwegs neutralen Punktrichter gegen sich hatte, attestierte er sich mit kindlichem Trotz: „Ich habe eine viel bessere Urteilsfähigkeit als sie. Ich habe auch ein viel besseres Naturell als sie. Mein größter Vorteil ist mein Temperament. Ich habe ein gewinnendes Naturell. Ich weiß zu gewinnen.“ Im Publikum der Hofstra-Universität, dem vorher jede Meinungsäußerung verboten wurde, war lautes Prusten nicht zu überhören.

Trump darf Clinton in den nächsten beiden Debatten (9. und 19. Oktober) nicht mehr förmlich zum Abwatschen einladen. Auf seine steile Behauptung, Clinton mangele es am nötigen „Stehvermögen“ für das Amt der Präsidentin, gab sie mit stoischer Miene und Blick auf ihre Bilanz als Außenministerin zurück: „Sobald Donald in 112 Länder reist, ein Friedensabkommen verhandelt, eine Waffenruhe, die Freilassung von Regierungsgegnern, oder auch einfach nur elf Stunden vor einem Kongressausschuss aussagt, kann er mit mir gern über Stehvermögen reden.“ Volltreffer.


Wo hat Hillary Clinton Defizite?

Sie muss sich das Streberhafte, Perfektionistische abschleifen. Sie wirkte oft „übertrainiert“, schien auf jede denkbare Spitze Trumps bis zum fünften Spiegelstrich mit einstudierten Kontern vorbereitet. Es menschelte zu wenig. Sie trifft, anders als Trump, nicht den Ton, um das einfache, weniger gebildete Amerika zum Zuhören zu zwingen. Noch zu oft geraten ihre Ausführungen zu Vorlesungen. Amerika wartet noch immer auf die echte Hillary Clinton.


Wie werden sich die noch
unentschlossenen Wähler verhalten?

Etwa 27 Millionen US-Bürger – grob ein Fünftel der Wähler – sind noch unentschlossen. Das sind deutlich mehr als die zwölf Prozent zum gleichen Zeitpunkt bei der Wahl 2012. Ein zentraler Grund dafür ist, dass beide Kandidaten außergewöhnlich unbeliebt sind. Auf den ersten Blick scheinen die Unentschlossenen ähnliche Merkmale aufzuweisen wie viele Trump-Unterstützer: Sie sind überwiegend weiß, haben nicht studiert, sind älter und mit der Lage im Land unzufrieden. Allerdings: Etwa 60 Prozent sind Frauen, was eher Clintons Anhängerschaft entspricht. „Das sind dieselben Frauen, die Hillary nicht vertrauen und sie für falsch halten“, sagt die republikanische Strategin Katie Packer. „Aber Trump macht ihnen Angst.“

Diese Unentschlossenen könnten sich allerdings auch einem der „third-party candidates“ zuwenden – den anderen Kandidaten im Präsidialwahlkampf, die kaum in den Medien präsent sind. In diesem Jahr sind das insbesondere der „Libertarian“ Gary Johnson und die Grüne Jill Stein. In Umfragen liegen sie allerdings unter 15 Prozent und wurden deswegen nicht zu den TV-Debatten eingeladen.