Düsseldorf.

Christian Lindner kommt ohne Krawatte ins Restaurant am Düsseldorfer Hafen. Auf die Frage der Kellnerin, ob beim Mineralwasser Medium-Sprudel in Ordnung sei, sagt er: „Nein, bitte mehr Gas.“ Lindner will, dass es prickelt, und er sieht sich gerne als einer, der Gas gibt. Auch in der Freizeit.

Herr Lindner, Sie haben gerade den Sportbootführerschein See gemacht. Planen Sie schon für den Fall, dass es doch nichts wird mit dem Wiedereinzug in den Bundestag?

Christian Lindner: Ich bin Politiker, aber auch ein Mensch mit Leidenschaften. Meine kann man meistens mit Benzin betanken. Auf der Straße bin ich da schon ganz gut unterwegs, und auf dem Wasser habe ich jetzt noch mal vom Binnen-Schein zum See-Schein aufgerüstet. Ich lerne gerne dazu.

Als Kapitän muss man klaren Kurs fahren und komplizierte Knoten lösen. Was kann man dabei für die Politik lernen?

Einer muss die Verantwortung tragen und die Übersicht behalten. Aber am Ende zählt die Mannschaft. Ein Schiffsführer, der alles allein machen will, hat auf hoher See keine Chance.

Bei der FDP sehen wir gerade einen wilden Schlingerkurs: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben Sie gut abgeschnitten, in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern droht jetzt das Scheitern. Wie kommen Sie aus diesem Kurs raus?

Bei den letzten fünf Wahlen haben wir hinzugewonnen. Übrigens meist mehr, als uns Umfragen vorher zugetraut haben. Machen Sie sich also keine Sorgen um die FDP, sondern eher darum, wie sich unser Land entwickelt: Etwa dieser Aktionismus der Regierung in der Innen- und Rechtspolitik. Wir erleben nur Ablenkungsmanöver statt echter Pro­blemlösung. Wichtige Fragen werden viel zu lange verschleppt! Wir bräuchten zügig Abschiebeabkommen mit den nordafrikanischen Staaten für die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern, die Stärkung des europäischen Grenzschutzes und ein Einwanderungsgesetz, das zwischen zeitweiligem Schutz und dauerhaftem Aufenthalt eine klare Trennlinie zieht – aber nichts passiert. Das sind doch die Themen – nicht die Umfragewerte der FDP.

Im Frühjahr haben Sie gesagt: Die FDP wird bei der nächsten Bundestagswahl stärker als die AfD. Stehen Sie noch dazu?

Das ist unser Anspruch. Eine Partei, die für die liberalen Grundwerte unseres Landes steht, muss doch stärker sein wollen als diese Mischung gestriger Populisten und Rassisten. Mich ärgert aber, dass viele Medien denen auf den Leim gehen und über jeden Rülpser groß berichten. Diese Partei schürt Ängste und lebt von Empörung. Zur Regierung ist die FDP die Alternative für Demokraten.

Macht braucht Mehrheiten. In welcher
Koalition wollen Sie eigentlich regieren? Mit wem gibt es die größte Schnittmenge?

Große Unterschiede zwischen Union, SPD und Grünen sehe ich nicht mehr. Eine größere Schnittmenge haben wir sicher noch mit der CDU, wobei wir uns auch dort in der Flüchtlings-, Finanz- und Rechtspolitik entfernt haben. Eine schwarz-gelbe Mehrheit würde deshalb noch lange keine Koalition bedeuten.

In Rheinland-Pfalz regiert die FDP aber in einer Ampelkoalition mit SPD und Grünen. Haben Sie kein Glaubwürdigkeitsproblem?

Nein, weil wir dort unsere regionalen Inhalte verankern konnten. Warum stellen Sie diese Frage nicht den anderen Parteien? Die CDU regiert mit der SPD und den Grünen. Die SPD mit CDU, Grünen und Linken. Auch die Grünen machen das so. Eine Ampelkoalition auf Bundesebene halte ich bei den sich abzeichnenden Programmen von SPD und Grünen ohnehin für Fiktion.

Und Jamaika – mit Union und Grünen?

Anton Hofreiter als Umweltminister? Das möchte ich mir nicht vorstellen. Bei Grünen-Chef Cem Özdemir teile ich seine kritische Haltung zur Türkei und seinen Appell an die Muslime, westliche Werte zu akzeptieren – da ist er mir näher als Frau Merkel. Aber Cem Özdemir steht leider höchstens für einen Teil seiner Partei.

Die Union will bei der inneren Sicherheit punkten. Würden Sie Gesichtserkennung an Bahnhöfen und Flughäfen mittragen?

Mehr Videoüberwachung an Gefahrenschwerpunkten halte ich für machbar. Vor allem ich bin aber dafür, dass wir wirkliche Gefährder, etwa Dschihad-Rückkehrer aus Syrien, mit der elektronischen Fußfessel überwachen, damit wir wissen, wo sie sind. Aber ich bin gegen Maßnahmen, die den unbescholtenen Bürger in seinem Alltag berühren. Die Einschränkung der ärztlichen Schweigepflicht wäre ein Tabubruch. Und wenn wir an einem Polizisten vorbeigehen, fragt der uns ja auch nicht jedes Mal nach unserem Pass. Dazu kommt: Was passiert mit den Daten? Das ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in unsere Freiheit.

Im neuen Zivilschutzkonzept ist schon über die Zustellung von Einberufungsbescheiden zu lesen. Wäre die Rückkehr zur Wehrpflicht mit Ihnen zu machen?

Nein, denn es gibt in der aktuellen Lage keinen Anlass dafür. Eine solche Formulierung in einem Sicherheitskonzept ist ein völlig falsches Signal, das die Leute verunsichert und von Moskau falsch interpretiert werden könnte. Nur falls sich die Sicherheitslage fundamental verändert, müsste man darüber nachdenken. Deswegen wurde die Wehrpflicht auch nicht abgeschafft, sondern ausgesetzt.

Was sagen Sie zum Burka-Verbot?

Die CDU versucht, mit Symboldebatten von ihren Problemen in der Innen- und Asylpolitik abzulenken. Zur Sache: Im Gericht, auf dem Amt oder in der Schule muss die Burka abgelegt werden. Wie das darüber hinaus rechtlich gehen soll, da bin ich auf einen verfassungskonformen Gesetzentwurf der CDU gespannt.

Muss der Staat die islamischen Verbände stärker kontrollieren?

Auf jeden Fall. Ich begrüße, wenn sich die Muslime organisieren. Es muss aber transparent sein, welche finanziellen und organisatorischen Verbindungen es ins Ausland gibt. Wir müssen vor allem stärker kontrollieren, was in den Moscheen gepredigt wird. Es darf auch nicht sein, dass dort Imame tätig sind, die nur für kurze Zeit aus der Türkei entsendet werden, von dort bezahlt werden und kaum Deutsch sprechen.

Die Freihandelsabkommen sind so gut wie tot, die nächste Großdemonstration könnte Ceta den Rest geben. Wer hat da eigentlich was verbockt?

Wenn diese Abkommen scheitern, überlassen wir die Spielregeln der Globalisierung anderen – zum Beispiel den Chinesen. Verantwortlich für das Scheitern ist bei uns in erster Linie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Er hat das Thema erst unterschätzt und dann TTIP aus parteipolitischen Gründen für gescheitert erklärt. Sigmar Gabriel ist in dem Punkt wie David Cameron, der aus Parteitaktik den Brexit riskiert hat. Sollten TTIP und Ceta wirklich scheitern, muss eine nächste Regierung einen neuen Anlauf wagen und es besser machen.

Muss es sein, dass der Steuerzahler Kurzarbeit subventioniert, wenn sich Einkaufsmanager, wie bei Volkswagen, streiten?

Kurzarbeitergeld sollte auf konjunkturelle Krisen beschränkt sein. Hier geht es aber um das Versagen des Managements. Die Folgen dieses Versagens sollten die Eigentümer, also die Aktionäre des Unternehmens, spüren, und nicht die Steuerzahler. Das Problem unserer Marktwirtschaft ist, dass beim Management allzu oft Freiheit von Verantwortung entkoppelt ist. Volkswagen ist dafür das Paradebeispiel.

Zum liberalen Programm gehören auch mehr Rechte für Homosexuelle und Regenbogenfamilien …

Wir stehen für eine liberale Gesellschaft. Wir sind Individualisten. Und wir sind überzeugt: Wenn Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, also Pflichten übernehmen, dann sollen sie auch Rechte haben. Das betrifft gleichgeschlechtliche Paare – aber wir wollen noch darüber hinausgehen: Wir werden im Zuge des demografischen Wandels ganz neue Lebensmodelle bekommen. Warum sollten zwei Witwen, die eng miteinander befreundet sind, keine Lebenspartnerschaft eingehen? Ich meine damit keine Liebesbeziehung, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft. Heute ist es doch so: Wenn die eine im Krankenhaus ist, kann sich die andere bei den Ärzten nicht über den Zustand der Freundin erkundigen. Wir müssen eine Rechtsform schaffen, die solche besonderen Freundschaften absichert. Eine Art Wahlverwandtschaft.