Berlin.

Sie muss etwas tun. Nach Würzburg, nach Ansbach. „Nach den schrecklichen Anschlägen ist es wichtig, dass wir nicht erst bis nach dem Urlaub warten“, sagt Angela Merkel (CDU). Ihren Auftritt am Donnerstag in Berlin haben viele herbeigesehnt oder auch herbeikritisiert, weil sie ihn schon früher erwartet hätten. Die Kanzlerin hat ihren Urlaub unterbrochen und wird es noch einmal tun und nach München zur Trauerzeremonie für die Opfer des Amoklaufs fahren.

Als „erschütternd, erdrückend, deprimierend“ bezeichnet Merkel vor den Journalisten die jüngsten Gewalttaten, „es wurden zivilisatorische Tabus gebrochen“. Die Täter wollten „unseren Zusammenhalt und unser Miteinander zersetzen“, Angst und Hass säen und das Land verhöhnen, das sie aufnahm. Betroffen seien die Helfer, aber genauso die vielen Flüchtlinge, die hier nur friedlich leben wollten. Sie glaubt, dass wir in einem Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) sind, „meinetwegen auch in einem Krieg“. Sie stellt aber klar, „wir befinden uns in keinem Krieg oder Kampf gegen den Islam.“

Die Kanzlerin hat das Gefühl, richtig gehandelt zu haben

Jeder dieser Sätze ist so gefallen, obendrein hat die Kanzlerin einen Neun-Punkte-Plan präsentiert. Beides, die Bekundungen der Betroffenheit und der Handlungskatalog, machen ihren Auftritt vor der Bundespressekonferenz aus. Und doch täuscht der Gesamteindruck. So war Merkel nicht, so entschieden und voller Tatendrang. Es war eine zähe Veranstaltung.

Es läuft gerade die 95. Minute, die Nachspielzeit nicht nur beim Fußball, sondern auch in Merkels Berliner Pressekonferenz. Noch zwei Fragen, signalisiert die Kanzlerin. Die nächste lautet: Ob nach den jüngsten Anschlägen die muslimische Gemeinde besonders gefordert sei. Man könnte darauf mit Ja oder Nein antworten. Die Kanzlerin aber führt aus, dass der Staat reagieren müsse. Eine neue Situation sei entstanden: Einzeltäter in Ansbach wie Würzburg – daraus müsse man lernen. „So funktioniert doch Politik.“ Dann stockt sie und vergewissert sich, was sie eigentlich gefragt worden war. Ach ja, die muslimische Gemeinde! Es sei nicht ihre Aufgabe, so Merkel, „Sonderverantwortungen zuzuweisen“.

Kleine Veränderungen, neue Anpassungen, so funktioniert Politik nicht immer, so funktioniert aber die CDU-Kanzlerin. Sie zerhackt Probleme und Lösungen in viele Details, wie ein Häcksler im Garten: Oben wirft man das sperrige Zeug rein, unten rieselt es zerhackt wieder raus, gestern als zerbröselte, nicht wiedererkennbare Fragen. 95 Minuten Häckseln, das Protokoll.

Merkel mag sich nicht festlegen, ob sie gerade die schwierigste Situation ihrer Kanzlerschaft durchmacht oder nicht. „Das ganze letzte Jahr war nicht einfach“, sagt die Kanzlerin. Merkel will sich auch nicht entscheiden, ob der islamistische Terror in Deutschland angekommen sei, denn da gab es schon ein, zwei Vorfälle früher, referiert sie. „Wir haben das jetzt noch mal mit einer großen Wucht gesehen“, bemerkt die Kanzlerin. Ob sie die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen will? Merkel antwortet, dass man keine Verhandlungen über neue Kapitel eröffne – danach war sie nicht gefragt worden. Ob sie erschöpft sei? So würde es die Kanzlerin auch nicht sagen, „aber ich bin nicht unterausgelastet“. Mehrmals wird sie gefragt, ob sie Fehler gemacht habe. Einmal antwortet sie, dass sie mit SPD-Chef Sigmar Gabriel telefoniert habe und dass die Regierung gemeinsam handle. Ein anderes Mal beteuert Merkel, dass sie für die allermeisten Entscheidungen doch verantwortlich sei, „das liegt in der Natur des Amts“. Und immer gehe es darum, abzuwägen. So war es auch, als sie am 4. und 5. September 2015 beschloss, die Grenzen für die Flüchtlinge offenzuhalten. Sie habe das Gefühl, verantwortlich und richtig zu handeln, „und keine anderen Gefühle“.

Zu dem Auftritt in Berlin hatte sich Merkel am Sonnabend entschieden. Vorher hat sie sich noch schnell mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) abgestimmt. Deutschland, wie sie es sieht, ist ein Land, das gerade auf die Probe gestellt wird. „Schlimm“ sei die „allgemeine Verunsicherung“.

Heute wie vor einem Jahr, als sie für die Willkommenskultur warb, ist Merkel davon überzeugt, „dass wir es schaffen, unserer historischen Aufgabe – und dies ist eine historische Bewährungsaufgabe in Zeiten der Globalisierung – gerecht zu werden. Wir schaffen das. Und wir haben im Übrigen in den letzten elf Monaten sehr, sehr viel bereits geschafft.“ Dass zwei Männer, die als Flüchtlinge kamen, für die Taten von Würzburg und Ansbach verantwortlich seien, sei eine Verhöhnung. Dabei sei es egal, ob sie „vor oder nach dem 4. September gekommen sind“.

Merkel kündigt zwar Taten an, für Schnellschüsse ist sie allerdings nicht zu haben. „Es muss eine gründliche Analyse geben“, erklärt sie. Deswegen bleiben ihre neun Punkte, ersten Handlungsempfehlungen recht allgemein. Erster Punkt: Die Kanzlerin wünscht sich ein „Frühwarnsystem“. Die Behörden sollen tätig werden können, sobald es in Asylverfahren Hinweise auf eine mögliche Radikalisierung gebe. Mehr Stellen und mehr Geld für die Sicherheitsbehörden stellt sie in Aussicht, „wo immer notwendig“. Die beschlossene zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich zur Entschlüsselung der Internetkommunikation sollte „schnellstmöglich“ aufgebaut werden.

Zur Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr im Inland legt sie sich nicht fest, nur so viel: Es sei „jetzt an der Zeit“ für Übungen für terroristische Großlagen, bei der unter Führung der Polizei auch die Bundeswehr eingebunden werden könnte, erläutert Merkel. Etwas anderes hätte sie im Namen der gesamten Regierung – also auch der SPD – nicht sagen dürfen. Die Sozialdemokraten sind bekanntlich strikt gegen den Einsatz des Militärs im eigenen Land.

Alle Forschungsvorhaben zum islamistischen Terror und zur Radikalisierung von Menschen müssten fortgesetzt und auf EU-Ebene alle bestehenden Dateien „schnellstmöglich“ vernetzt werden. Das gilt auch für das neue europäische Waffenrecht, das den Handel oder Kauf von Waffen online verbieten soll. Außerdem soll die Kooperation von befreundeten Geheimdiensten verstärkt werden. Merkels neunter und damit letzter Punkt ist die Rückführung oder Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern. Bund und Länder haben gerade die Unternehmensberater von McKinsey beauftragt, die Strukturen in der Abschiebepraxis zu überprüfen.

Flüchtlingskonvention und Asylrecht bleiben unantastbar

Nicht rütteln will die Kanzlerin am Asylrecht und der Genfer Flüchtlingskonvention. Ohne ihn namentlich zu erwähnen, hat sie damit der Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer eine Absage erteilt. Er hatte es gewagt, das Abschiebeverbot in Krisenregionen infrage zu stellen. Das aber ist ein Gebot der Flüchtlingskonvention.

Seehofer hatte im bayerischen Kabinett die Debatte über Konsequenzen aus den Terroranschlägen mit der Aufforderung eröffnet, „alles zu denken“. Was notwendig sei, werde finanziert; alles, was man für richtig halte, auch in die Diskussion eingeführt. Besonnenheit sei wichtig. Den Schutz durch den Staat ersetze sie nicht, so Seehofer. „Wir können uns nicht zurückziehen mit dem Argument, wir sind besonnen, aber wir handeln nicht.“ Gestern musste er sich mit Besonnenheit abfinden.